Politisches Playback

Saarbrücken. Baden-Württemberg, drei Monate vor der Landtagswahl: Der Ministerpräsident fragt seinen Berater, für welche Partei er auf dem Sonderparteitag rede. Bitte? "März wirkte überrascht: Natürlich für unsere Partei. Ich fragte ihn: Was ist das für eine Partei? Er blickte fassungslos

Saarbrücken. Baden-Württemberg, drei Monate vor der Landtagswahl: Der Ministerpräsident fragt seinen Berater, für welche Partei er auf dem Sonderparteitag rede. Bitte? "März wirkte überrascht: Natürlich für unsere Partei. Ich fragte ihn: Was ist das für eine Partei? Er blickte fassungslos." Der Ministerpräsident in Joachim Zelters gleichnamigem Roman leidet nach einem Unfall unter Erinnerungslücken und einer "dissoziativen Persönlichkeitsstörung". Einem unbeschriebenen Blatt gleich, liegt er in einer Reha-Klinik, der Unfall hat ihn aus der politischen Bahn geworfen, die für ihn mit einem Mal keine Bedeutung mehr hat. Er, der immer nur Politiker war - und kein Mensch mit Schwächen sein durfte, als den ihn seine spärlichen Erinnerungen ausweisen. Und jetzt? Drei Monate vor der Landtagswahl? Eine Katastrophe für die Partei. Es gibt niemanden, der sich noch schnell zum neuen Landesvater aufbauen ließe. Was tun? März, sein Medienberater, macht aus MP Claus Urspring eine Marionette. Doch je mehr Urspring ferngesteuert wird, umso mehr beginnt er sich innerlich zu befreien. Worauf Zelters Roman, nominiert für den Deutschen Buchpreis, hinaus will, ist klar: Im Grunde war Urspring nie so ferngesteuert wie vor dem Unfall. Weshalb er am Ende aus der Rolle fällt. Zelter schreibt bei aller karikaturhaften Überzeichnung des heutigen Regierungsgewerbes eine in Teilen ziemlich lebensnah wirkende, politische Parabel: Wähler sind Mittel zum Zweck. Dieser heißt Macht, Überzeugungen sind da Nebensache. Inszenierung ist alles; alles ist Inszenierung. Die Hauptfigur könnte Assoziationen an die CDU-Ministerpräsidenten Günter Oettinger und Dieter Althaus wecken, hat mit deren Karriereverläufen aber wenig gemein. Anders als im Fall von Althaus bleibt der MP-Unfall im Roman ohne Folgen für Dritte. Und obschon die Musterländle-Verortung des Romans, die schwäbische Dumpfheit des fiktiven MP (vor seinem Unfall) wie auch seine bescheidenen Fremdsprachenkenntnisse an Oettinger denken lässt, verzichtet Zelter auf billige Verhöhnungen. In knappen, eher teilnahmslosen Sätzen skizziert sein Ich-Erzähler Urspring die politischen Schadensbegrenzungen im Zeichen der landesväterlichen Amnesie. Aus Worthülsen, die der MP einer "Redenschneiderin" ins Mikro spricht, montiert sie eine Parteitagsrede, die dort vom Band eingespielt wird. Er wird am Rednerpult nur noch die Lippen bewegen. Der Roman beschreibt eine von Komik getriebene Versuchsanordnung, derzufolge Politik nurmehr als ästhetisches Phänomen zu rechtfertigen ist. Also entwirft Ursprings (Verkaufs-)Berater März aus dessen körperlicher Versehrtheit gleich ein neues Regierungsprogramm: Weil ein Wahlkämpfer heute - unsere Fernsehbilder transportieren täglich diese Dramaturgie der Entschlossenheit - "zwei Dinge jederzeit beherrschen müsse: Sprechen und Gehen", wird der hinkende MP notgedrungen aufs Rad gesetzt und ihm ein grünes Profil angedichtet.Auch wenn der Roman zum Ende hin (Ursprings Flucht an der Seite seiner Redenschneiderin) nachlässt, seine innere Geschlossenheit verliert - die Demaskierung von Auswüchsen des heutigen Politbetriebes gelingt ihm spielend.Joachim Zelter: Der Ministerpräsident. Klöpfer & Meyer, 189 Seiten, 18,90 €.

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