Szenen einer Ehe

Zwei Monate hatte es nach der letzten Landtagswahl am 30. August 2009 gedauert, bis sich die neue Regierung gefunden hatte, dann stand "Jamaika", das erste Bündnis zwischen CDU, FDP und Grünen in Deutschland. Und wie es so üblich ist am Anfang einer Ehe, schwebten die Koalitionäre auf Wolke 7, jedenfalls erweckten sie diesen Eindruck

Zwei Monate hatte es nach der letzten Landtagswahl am 30. August 2009 gedauert, bis sich die neue Regierung gefunden hatte, dann stand "Jamaika", das erste Bündnis zwischen CDU, FDP und Grünen in Deutschland. Und wie es so üblich ist am Anfang einer Ehe, schwebten die Koalitionäre auf Wolke 7, jedenfalls erweckten sie diesen Eindruck. Der alte und neue Ministerpräsident Peter Müller schwärmte von einem "neuen Kapitel in der Parteiengeschichte der Bundesrepublik", Jamaika werde dem Saarland "den richtigen Weg in die Zukunft weisen". Die Vorsitzenden Christoph Hartmann (FDP) und Hubert Ulrich (Grüne) äußerten ihre "Freude" auf die kommenden Aufgaben, und auch die Parteistrategen in Berlin blickten voller Hoffnung nach Saarbrücken.Zehn Monate später ist der Honeymoon vorbei. Die Euphorie ist tiefem Frust gewichen. Entgegen den öffentlichen Bekundungen, die Saar-Koalition sei "stabil" und arbeite "ordentlich", ist das Bündnis in eine ernste Krise geraten. Manche reden gar schon von der Scheidung.Was ist passiert in Saarbrücken, wieso klaffen Anspruch und Wirklichkeit so auseinander? Nun, wie in jeder Ehe hat der Alltag Einzug gehalten, und der gestaltet sich außerordentlich schwierig. Inhaltlich konnte nicht mal der (von den Grünen gewünschte) absolute Nichtraucherschutz umgesetzt werden, der Verfassungsgerichtshof stoppte das Vorhaben. Die längere Grundschulzeit gilt jetzt schon als gescheitert. Alle geplanten Projekte stehen unter Finanzvorbehalt, und angesichts des enormen Spardrucks spricht ein CDU-Minister schon davon, eigentlich müsse der Koalitionsvertrag "neu ausgehandelt" werden. Insgesamt sieht Jürgen Presser, Chef der Mittelstandsvereinigung, die Arbeit der Koalition als "stark verbesserungsbedürftig" an. Und Armin König, CDU-Bürgermeister von Illingen, stellt nüchtern fest: "Jamaika humpelt". Statt Erfolgsmeldungen gibt es Ärger: Monatelange Diskussion um Parteispenden für die Grünen, ausgerechnet vom FDP-Unternehmer Hartmut Ostermann. Vertragsstreit um das Freizeitprojekt "Gondwana", in das vor allem der saarländische Steuerzahler investiert. Palaver um den obersten Museumschef des Landes Ralph Melcher wegen mutmaßlichen Spesenrittertums. Vor allem aber zehrt eines an den Nerven: Zähe Abstimmungsprozesse zwischen den Koalitionären, "bis an die Grenzen der Geduld" (ein CDU-Minister). Jenseits der sachlichen Probleme ist es jedoch der Faktor Mensch, der erst zu Irritationen, dann zu Frust, schließlich zu massiver Verärgerung geführt hat. Dabei sticht insbesondere FDP-Fraktionschef Horst Hinschberger mit seinem unorthodoxen Politik-Stil hervor. Hinschberger, der nebenbei noch Unternehmer und Sportfunktionär ist (Präsident des 1. FCS), sorgt dabei nicht nur bei seinen Partnern von der CDU für Kopfschütteln: Vor wenigen Wochen zeigte er den gesamten Vorstand der Liberalen Stiftung "Villa Lessing" an, wegen angeblicher Veruntreuung von Stiftungsgeldern. In der FDP ist man entsetzt - und fragt zugleich nach der Führung des Parteivorsitzenden Hartmann. Doch auch hier: Fehlanzeige. "Die FDP ist führungslos", sagt ein prominenter CDU-Mann. Andererseits klagen die Liberalen über Regierungschef Peter Müller, der bundesweit ständig Thesen vertrete (zum Atomausstieg, sozialem Pflichtjahr), die im Gegensatz zu FDP-Positionen stünden. Die Kritik an Hinschberger ist flächendeckend. Ob der FDP-Abgeordnete Karl-Josef Jochem oder der liberale Kreisvorsitzende Peter Müller (Saarpfalz), ob prominente Christdemokraten bis hinein in die Staatskanzlei: alle beklagen sie "die Ausreißer" (Jochem) von Hinschberger. Der Homburger Liberale Müller entdeckte bei dem Fraktionschef bereits Anzeichen eines "Koalitionsrisikos", und darin ist er sich dem Vernehmen nach mit seinem Namensvetter aus der Staatskanzlei einig. Der Ministerpräsident äußert sich dazu zwar nicht, doch sein Verdruss über die liberalen Partner gilt als verbürgt. Müllers Behauptung in SZ-Interviews, ihm mache das Regieren mit Jamaika "Freude" und die innere Stabilität der Koalition sei "groß", wird auch von engsten Mitarbeitern mit einem Schmunzeln quittiert. Tatsächlich ist man in der CDU-Spitze mehr als angefressen - und denkt sogar über das Ende von "Jamaika" nach. Am Montagabend will man in einer Krisensitzung (mit Müller, Rauber, Meiser, Jacoby, Hartmann, Hinschberger, Ostermann) Tacheles reden. Zum Bruch wird es dabei wohl nicht kommen, denn, und zumindest darin sind sich die Streithähne einig: "Die Alternative ist auch nicht verlockend".

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