Sachsen Die Empörung bleibt – in und um Chemnitz

Chemnitz · Die Stadt erlebt ein Wochenende ohne neue Gewalt, aber mit neuen beunruhigenden Vorgängen. Und der politische Streit gärt weiter.

Musik statt Mob: Beethovens Neunte erklang am Freitagabend in Chemnitz. Das Konzert war eine Aktion der Stadttheater gegen Hetze.

Musik statt Mob: Beethovens Neunte erklang am Freitagabend in Chemnitz. Das Konzert war eine Aktion der Stadttheater gegen Hetze.

Foto: dpa/Alexander Prautzsch

Es hätte ein Tag zum Durchatmen werden können in Chemnitz: Zu zwei angekündigten Versammlungen in der Innenstadt kamen am Samstag nur einige Dutzend Menschen. Doch die erst spät bekannt gewordene Anzeige eines jüdischen Restaurants wegen einer Attacke bei den Ausschreitungen vor zwei Wochen sorgt für Aufregung. Hatten die gewaltsamen Proteste noch größere Dimensionen als gedacht?

Das Restaurant „Schalom“ liegt am Rande der Innenstadt, ein schmuckes Lokal in einer ruhigen Wohngegend. Geschäftsführer Uwe Dziuballa ist die Aufmerksamkeit der Medien fast zu viel. Nun hat ihn auch der Ministerpräsident angerufen und will ihn treffen. Dziuballa ist von mehreren Männer angegriffen worden – am Tag der Massen-Proteste in der Stadt, am Tag nach dem gewaltsamen Tod eines 35-Jährigen. Am Montag, 27. August, gegen 21.40 Uhr hätten zehn bis zwölf zum Teil vermummte Personen vor dem Restaurant gestanden, sagt der Wirt. „Entweder habe ich laut gedacht oder leise gesagt: Haut ab.“ Er meint, den Satz „Judensau, hau ab aus Deutschland!“ gehört zu haben. In der derselben Sekunde seien Steine, Flaschen und eine Eisenstange an ihm vorbeigeflogen. Er wird an der rechten Schulter getroffen. Dziuballa ruft die Polizei, die schnell da ist. Die Vermummten sind indes weg.

Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) verurteilt die Attacke scharf. „Das ist eine ganz schändliche Tat. Es zeigt, wie sehr sich da die Gewalt Bahn bricht“, sagt er am Rande des Volksfestes „Tag der Sachsen“ in Torgau. Zur Gesamtlage der Stadt nach den Tagen der Krise sagt er: „Eine Minderheit in Chemnitz versucht, das Land mit Worten und Hass zu prägen. Dem werden wir uns entgegenstellen.“ Jüdische Verbände zeigen sich alarmiert.

Auch die politische Debatte um die Vorgänge in Chemnitz kommt nicht zur Ruhe. Vor allem Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen gerät zusehends unter Druck. Wegen dessen kontroversen Äußerungen hält die SPD-Vizevorsitzende Malu Dreyer Maaßen für nicht mehr tragbar. „Herr Maaßen stellt die Glaubwürdigkeit von Politik, Medien und den vielen Augenzeugen infrage. Er schafft weitere Verunsicherung und zerstört damit Vertrauen in unseren Staat“, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin der „Bild am Sonntag“. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil setzte Maaßen ein Ultimatum. „Entweder Maaßen legt diese Woche klare Belege für seine Behauptungen der letzten Tage vor, oder er ist in seinem Amt nicht mehr zu halten“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Für die Versuche einiger Politiker und Vertreter der Sicherheitsbehörden, die Lage in Chemnitz schönzureden, habe ich kein Verständnis“, sagte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) forderte eine umfassende Aufklärung.

Maaßen hatte die Echtheit eines Videos von einem Übergriff auf Migranten bei den rechtsextremen Protesten nach dem Totschlag von Chemnitz bezweifelt. Medienberichte über „rechtsextremistische Hetzjagden“ sehe er mit „Skepsis“, hatte er der „Bild“ gesagt und damit auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) widersprochen. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden machte hingegen deutlich, dass sie keine Hinweise auf eine Fälschung des Videos sieht. Die Auswertung der Vorgänge laufe noch, eine Vielzahl von Straftaten habe es aber gegeben. Der Verfassungsschutzchef wird am Mittwoch zu Sitzungen sowohl des Innenausschusses als auch des Parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Geheimdienste erwartet.

Der Handelsverband Deutschland warnte angesichts der Vorfälle und der Debatte um Chemnitz vor einem „Klima der Angst“ in Deutschland. „Alle, die das Bild eines toleranten Deutschlands stören, gefährden erheblich unser Zusammenleben und auch den Wirtschaftsstandort“, schrieb der Präsident des Handelsverbands Deutschland, Josef Sanktjohanser, in einem offenen Brief an die Kanzlerin. Die Gesellschaft dürfe nicht zulassen, dass „rechte Kreise“ den Eindruck erzeugten, dass hierzulande Intoleranz an der Tagesordnung sei. Er verwies auf den drohenden massiven Fachkräftemangel in Deutschland.

 Das jüdische Restaurant „Schalom“ in Chemnitz wurde am Abend der Massen-Demos am 27. August angegriffen, wie jetzt bekannt wurde.

Das jüdische Restaurant „Schalom“ in Chemnitz wurde am Abend der Massen-Demos am 27. August angegriffen, wie jetzt bekannt wurde.

Foto: dpa/Hendrik Schmidt
 Die Demonstrationen des Wochenendes blieben in Chemnitz ruhig (im Bild eine Demo von Freitag, zu der rechte Gruppen aufgerufen hatten).

Die Demonstrationen des Wochenendes blieben in Chemnitz ruhig (im Bild eine Demo von Freitag, zu der rechte Gruppen aufgerufen hatten).

Foto: AP/Jens Meyer
Weiter in der Kritik: Hans-Georg Maaßen, Verfassungsschutzpräsident.

Weiter in der Kritik: Hans-Georg Maaßen, Verfassungsschutzpräsident.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

In Chemnitz war vor zwei Wochen ein 35-jähriger Deutscher mit kubanischen Wurzeln erstochen worden, tatverdächtig sind drei Asylbewerber, von denen einer noch gesucht wird. Nach der Tat kam es zu massiven Protesten auch rechter Gruppen, fremdenfeindlichen Übergriffen – und Gegendemonstrationen.

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