Staatstheater-Premiere von „Das achte Leben“ Frauen an der Schicksalsfront

Saarbrücken · Nicht phänomenal, aber solide: Bettina Bruiniers Version von Nino Haratischwilis Georgien- und Familiensaga „Das achte Leben“ hatte am Samstagabend in Saarbrückens Alter Feuerwache Premiere.

 Gabriela Krestan in der Rolle der Stasia, im Hintergrund eine der Videoprojektionen von Ayse Gülsüm Öze, die auch die Kostüme gefertigt hat. 

Gabriela Krestan in der Rolle der Stasia, im Hintergrund eine der Videoprojektionen von Ayse Gülsüm Öze, die auch die Kostüme gefertigt hat. 

Foto: martinkaufhold.de ;Martin Kaufhold

Nino Hartatischwilis Roman „Das achte Leben. Für Brilka“ (2014) ist süße, dunkle Seelennahrung: 1200 Seiten, ein georgisches Familiendrama über sechs Generationen, vor weit aufgerissenem, weltpolitischem Panorama, das rund 100 Jahre Auf- und Niedergang der Sowjetunion und des Kommunismus überspannt. Doch in der Saarbrücker Feuerwache wurde der Kupfer-Kochtopf für die heiße Schokolade ganz an den Rand gerückt. Er enthält das luxuriöse Gebräu des Konditorei-Dynastie-Gründers Jaschi, das süchtig macht.

Regisseurin Bettina Bruinier weist diesem Sinnbild eine Nebenrolle zu. Der Verzicht auf Milieu und Magie ist kein Zufall, sondern ästhetisches Programm und Konzept für diesen vierstündigen Abend. Die Bühne: eine äußerst karg möblierte, schwarze Holzbretter-Schräge. Klappen werden von unten aufgestoßen, rote Bärenmasken liegen herum, ein paar Rosenblätter rieseln oder Tische und Stühle fallen um. Nein, das ist kein aufregende Bühnenlösung von Volker Thiele. Aber eine inszenierungskonforme. Denn die Saarbrücker Schauspieldirektorin Bruinier setzt auf Ausnüchterung, auf klare, pure, übersichtliche Bilder.

Sie hat keine eigene Bühnenfassung erstellt, sie übernimmt das Hamburger Uraufführungsstück (Heinrich/Lochte/Jeckel). Allerdings fügt Bruinier nicht das hinzu, was im Thalia Theater damals Publikum und Kritik entzückte, wie man nachlesen kann: optische, sinnliche Opulenz. In der Feuerwache kommt die Historie nur zur Stippvisite, etwa durch Projektionen (Ayse Gülsüm Özel) dokumentarischer Filmaufnahmen von Straßenkampfszenen in der Oktoberrevolution.

Dabei thematisiert das Stück doch alle Umbrüche, die das vorige Jahrhundert für das georgische Volk bereithielt, von der kurzzeitigen Unabhängigkeit in der Sowjetunion bis zu den Sezessionskriegen in den 90er Jahren. Doch auch das Land selbst, das lukullisch-lebenspralle Georgien, bleibt uns in dieser Inszenierung fern. Statt dessen begegnen wir – auch in den Videos – Großformaten der Figuren. Es sind Frauen wie die starke, schöne Christine (Verena Bukal), die sich zum Wohle aller an den mächtigsten Mann in Georgien prostituiert. Später wird sie für einen jungen Dissidenten zur Heldin, wagt den Bruch mit ihrem mächtigen Neffen, dem Geheimdienst-Funktionär Kostja (Bernd Geiling). Er ist ein früh durch militärischen Drill verhärteter Mann, der sich mit seiner freiheitsliebenden Schwester Kitty in Hassliebe verbeißt. Im Westen steigt sie zum Songwriter-Star auf. Christiane Motter gibt ihr virtuose Wut- und Verlorenheits-Töne und ihre wunderbare Singstimme mit.

 Ihr Bruder, das  emotional ausgeblutete Ungeheuer, kommt in Bruiniers Version jedoch allzu gemütlich daher. Auch die Enkelinnen Niza (Natalja Joselewitsch) und Daria (Lisa Schwindling) bleiben vergleichsweise blass. Derweil glänzt Michael Wischniowski in sechs Rollen, insbesondere als durch den Gulag seelisch verkrüppelter Andrej und verhuschter Miqa. Ausgerechnet diesen Sonderling sucht sich Kostjas überdrehte Tochter Elena (Martina Struppek) als erstes Sex- und Lügen-Opfer aus. Die Verbogenheit dieses instabilen Charakters spiegelt sich bei Struppek bis in die Physis, es ist fabelhaft. Auch Gabriela Krestan liefert eine Bravourleistung ab, flattert als lebensfremdes, aber auch kraftvoll-zähes Vögelchen Stasia durch die politischen und privaten Katastrophen.

Ja, der Abend bietet eine Fülle mitreißender, emotional zugespitzter Momente. Schuld, Rache, Verrat, hoch gepuschte Emotionen, Gefühls- und Gewaltausbrüche –  Bruinier meißelt die Konflikte zwischen den Figuren heraus und verlangt ihren Darstellern höchste Wahrhaftigkeit ab. Obwohl sie andererseits stark stilisiert und abstrahiert, etwa durch tänzerische und Song-Passagen (Choreographie: Mohan C. Thomas). Doch Regie-Mätzchen gibt es hier nicht. Vorbehaltlos vertraut Bruinier dem Sog eines spannenden Plots, den die Ausreißerin Brilka (Barbara Krzoska) in Gang bringt. Das Stück könnte in Abwandlung von Turgenjews Generationendrama „Väter und Söhne“ jetzt „Mütter und Töchter“ heißen. Es bietet einen Stoff, der in Saarbrücken, dessen Partnerstadt Tbilissi heißt, schlicht gezeigt werden musste. Ohne Irritationen, einfach großes Erzähltheater. Auch mal schön.

 Gabriela Krestan, Verena Bukal, Martina Struppek und Michael Wischniowski (v.l.) im Bühnenbild von Volker Thiele.

Gabriela Krestan, Verena Bukal, Martina Struppek und Michael Wischniowski (v.l.) im Bühnenbild von Volker Thiele.

Foto: martinkaufhold.de ;Martin Kaufhold

Nächste Termine: 13., 19., 21., 28., 30. September. Tickets unter Telefon: (06 81) 30 92 486

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