Zwischen "Jamaika" und konservativer Sackgasse

Saarbrücken. Seit fast elf Jahren ist Peter Müller Ministerpräsident des Saarlandes. Noch länger, seit 1995, führt er die CDU an der Saar, zudem ist er seit 1998 Mitglied im Präsidium der Bundes-CDU. Seit der Landtagswahl im vorigen Jahr muss Müller nun die Macht mit FDP und Grünen teilen

Saarbrücken. Seit fast elf Jahren ist Peter Müller Ministerpräsident des Saarlandes. Noch länger, seit 1995, führt er die CDU an der Saar, zudem ist er seit 1998 Mitglied im Präsidium der Bundes-CDU. Seit der Landtagswahl im vorigen Jahr muss Müller nun die Macht mit FDP und Grünen teilen. Nicht nur deshalb ist das politische Leben des ersten "Jamaika"-Chefs in Deutschland deutlich schwieriger geworden.Die Wähler und die politischen Umstände haben Müllers Bewegungsspielraum stark eingeengt. Während im Saarland anstelle einsamer Entscheidungen jetzt zähe Abstimmungsprozesse mit den gelben und grünen Partnern stehen, haben sich (auch) die Situation und die Konstellation in der Bundes-CDU fundamental verändert: Aus der alten Volkspartei zu Zeiten des Patriarchen Helmut Kohl ist eine geschrumpfte Beliebigkeitspartei geworden. Die seit zehn Jahren amtierende CDU-Chefin Angela Merkel hat die Partei den freien Kräften des Marktes überlassen, was a) zu einem Verlust der Nestwärme und b) zu einer gewissen Desorientierung führte. Auch weil heute alle Parteien "breiter aufgestellt" sind und der rheinisch-katholische Werte-Kanon ausgedient hat, weiß niemand mehr so genau, für was die CDU eigentlich steht. Die Konsequenz daraus spiegelt sich in Wahlergebnissen und Umfragen wider.Peter Müller, dessen politische Potenz auch von der Konkurrenz nicht wirklich angezweifelt wird, möchte sich dem Abwärtstrend entgegenstemmen, im Saarland wie im Bund. In Interviews mit FAZ, Bild, Handelsblatt, Stern, SR und der SZ hat er jetzt seiner Sorge Ausdruck verliehen, die CDU könne ohne Kurskorrektur ihren Status als Volkspartei verlieren - und in einer "Sackgasse" landen. Es waren Interviews, in denen er sich auch als Kandidat für einen der drei frei werdenden Vize-Posten in der Partei empfiehlt. Gerade weil der CDU innerhalb nur eines Jahres gleich sieben Großkaliber abhanden kamen (Friedrich Merz, Dieter Althaus, Günther Oettinger, Roland Koch, Jürgen Rüttgers, Christian Wulff, Ole von Beust), müsste nun eigentlich ein Mann wie Müller, der letzte Mohikaner der einst stolzen Riege der "Jungen Wilden", eine größere Rolle spielen. Zumal er mit Abstand der dienstälteste Ministerpräsident in Reihen der CDU ist. Doch wie üblich greifen wieder die alten Mechanismen, die großen Landesverbände wollen "ihren" Kandidaten durchbringen. Hinzu kommt, dass die spröde Parteivorsitzende den jovialen, aber unbequemen Saarländer zwar schätzt, doch warm geworden sind die beiden nie.Das änderte sich auch nicht, als Müller (ganz im Sinne Merkels) mit "Jamaika" das alte Lagerdenken aufbrach - im Gegenteil: Das Projekt wird zunehmend kritisch betrachtet, denn der Regierungschef tritt im Saarland auf der Stelle. Im Kabinett muss er seine unerfahrenen Juniorpartner noch anlernen, mit intelligenter Geduld auf die Grenzen zwischen Wünschbarem und Machbarem hinweisen. Und im Bundesrat kann Müller nur noch als politischer Eunuch auftreten, weil sich die drei Parteipositionen gegenseitig neutralisieren. Dabei stehen dem "Jamaika"-Bündnis, das bislang vor allem durch Ankündigungen, Spenden-Debatten, liberalen Zwist und Untersuchungsausschüsse auffiel, die schwierigsten Aufgaben noch bevor: die Anpassung der Strukturen im Saarland (weniger Schulen, Klinikbetten, Polizeistellen) unter Berücksichtigung der Schuldenbremse. Gelingt dies nicht, steuert auch der Ministerpräsident auf eine Sackgasse zu.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Zum avisierten Start des Internet-Kartendienstes Street View für 20 deutsche Städte meint die "Leipziger Volkszeitung": Im Land mit der wahrscheinlich weltweit höchsten Gardinendichte muss sich niemand über die Skepsis in punkto Street View wundern. Durch
Zum avisierten Start des Internet-Kartendienstes Street View für 20 deutsche Städte meint die "Leipziger Volkszeitung": Im Land mit der wahrscheinlich weltweit höchsten Gardinendichte muss sich niemand über die Skepsis in punkto Street View wundern. Durch
Zur Auseinandersetzung in der SPD über die Rente mit 67 merkt die "Mittelbayerische Zeitung" aus Regensburg an: Die SPD will Zeit gewinnen in einer Frage, die ihr den nächsten Zerreißtest beschert. Parteichef Sigmar Gabriel wittert angesichts der schwache
Zur Auseinandersetzung in der SPD über die Rente mit 67 merkt die "Mittelbayerische Zeitung" aus Regensburg an: Die SPD will Zeit gewinnen in einer Frage, die ihr den nächsten Zerreißtest beschert. Parteichef Sigmar Gabriel wittert angesichts der schwache