Unruhe um den Ruhestand

Meinung · In der Diskussion um das Renteneintritts-Alter geht es zu wie beim Metzger hinter der Ladentheke. "Darf es etwas mehr sein?" - "Nein, lieber etwas weniger." Kaum hat SPD-Chef Sigmar Gabriel die Rente mit 67 in Frage gestellt, fordern Wirtschaftsinstitute bereits die Rente mit 70. Eines ist dabei sicher: Eine Holzhammer-Diskussion bringt niemandem etwas

In der Diskussion um das Renteneintritts-Alter geht es zu wie beim Metzger hinter der Ladentheke. "Darf es etwas mehr sein?" - "Nein, lieber etwas weniger." Kaum hat SPD-Chef Sigmar Gabriel die Rente mit 67 in Frage gestellt, fordern Wirtschaftsinstitute bereits die Rente mit 70. Eines ist dabei sicher: Eine Holzhammer-Diskussion bringt niemandem etwas. Klar ist aber auch, dass die heute gültige Rentenformel in Zukunft nicht mehr haltbar sein wird. Im Jahr 1960 lebten die Menschen rund zehn Jahre von ihrem Altersruhegeld, heute sind es bei den Männern durchschnittlich 14 Jahre, bei den Frauen 18 Jahre - Tendenz steigend. Zurzeit kommen auf 100 Erwerbstätige 40 Rentner, im Jahr 2030 werden es bereits 71 sein. Außerdem treten junge Menschen immer später ins Erwerbsleben ein. Im Grunde genommen gibt es nur drei Stellschrauben, an denen man drehen kann: das Renteneintritts-Alter, die Beitragssätze und die Höhe der Altersbezüge. Wer also weiter der Rente mit 65 das Wort redet, nimmt höhere Beitragssätze oder eine geringere Rente in Kauf. Ein ungelöstes Problem bleibt allerdings die unterschiedliche Belastung der Arbeitnehmer. Wer jahrzehntelang körperlich hart gearbeitet hat, dem kann man eine Rente mit 67 Jahren kaum zumuten. Doch wo ist die Grenze zu ziehen? Der Gesetzgeber ist damit überfordert. Denn es gibt genügend Berufe, bei denen körperliche Arbeit weniger im Mittelpunkt steht, wo die Menschen aber nach Jahrzehnten ebenso ausgelaugt sind - zum Beispiel durch Schichtarbeit. Der Renten-Experte Bernd Raffelhüschen verweist mit Recht darauf, dass es nicht "Aufgabe der Solidargemeinschaft und damit aller Beitragszahler sein kann, für die Sonderbelastungen einzelner Branchen geradezustehen". Diese Fragen müssen von den betroffenen Wirtschaftszweigen beantwortet werden. Das geht nur mit Hilfe von Tarifverträgen. Sie können beispielsweise regeln, dass derjenige, der besonders hart schuftet, für sein Recht auf vorgezogenen Renteneintritt während seines Berufslebens mehr einzahlt. Vorbild könnte die Vereinbarung sein, die vor zwei Jahren in der Chemie-Industrie geschlossen wurde. Dort zahlt nun jeder Arbeitnehmer 300 Euro pro Jahr in einen Fonds. Die Summe kann später für einen gleitenden Übergang in die Rente genutzt werden. Reizvoll ist auch die Überlegung, dass jeder nach 45 Berufsjahren abschlagsfrei in den Ruhestand gehen kann. Das würde all denen helfen, die - wie früher üblich - mit 15 Jahren ihre Lehre begannen. Für all diese Denkmodelle gilt jedoch: Soll die neu angefachte Renten-Diskussion diesmal wirklich etwas bringen, dann muss sachlicher Tiefgang den verbalen Schlagabtausch ersetzen.

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