Brüssel wünscht sich eine eigene Steuer

Brüssel. Der Traum ist alt: Die Europäische Union greift den Bürgern direkt in die Tasche und kassiert eigene Steuern. Ohne den Umweg über die Regierungen der Mitgliedsstaaten zu gehen, die alljährlich mehr als drei Viertel der EU-Ausgaben aus den eigenen Haushalten überweisen

Brüssel. Der Traum ist alt: Die Europäische Union greift den Bürgern direkt in die Tasche und kassiert eigene Steuern. Ohne den Umweg über die Regierungen der Mitgliedsstaaten zu gehen, die alljährlich mehr als drei Viertel der EU-Ausgaben aus den eigenen Haushalten überweisen. Mit der Ankündigung, den 27 Regierungen im September verschiedene Modelle einer solchen EU-Steuer vorzulegen, stach Haushaltskommissar Janusz Lewandowski in ein Wespennest. Mitten im Sommerloch eröffnete der Pole mit seinem Interview in der "Financial Times Deutschland" die Debatte über eine grundlegende Finanzreform der EU. Sie beginnt mit dem Kommissionspapier, das am 21. oder 28. September vorgelegt werden soll. Weil diese Reform das System von Einnahmen und Ausgaben grundsätzlich auf den Prüfstand stellt, dürfte der Streit darüber die Aufregung um die EU-Steuer noch in den Schatten stellen. Schon 1957, als die jetzige EU gegründet wurde, war vertraglich versprochen worden, die Gemeinschaft werde die nötigen Eigenmittel bekommen. Doch daraus wurde nichts. 2005 hatte dann Kommissionspräsident José Manuel Barroso angeregt, die Finanzierung "von den nationalen Haushalten unabhängiger zu machen". Denn das ewige Feilschen ums Geld schade dem Ansehen der EU. Danach war er zu diesem Thema blitzartig verstummt: Eisige Ablehnung aus den Hauptstädten der "Nettozahler" war ihm entgegengeschlagen, unter anderem aus Berlin. Lewandowskis neuer Vorstoß in Sachen EU-Steuer findet vor allem deswegen Beachtung, weil der 59-Jährige behauptet, viele Länder wollten von den Finanztransfers an die EU entlastet werden: "Ich höre aus mehreren Hauptstädten, einschließlich wichtigen wie Berlin, dass sie ihren Beitrag gern verringern würden." Sofort betonte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums, die Bundesregierung - mit 8,8 Milliarden Euro (2008) größter Nettozahler der Europäischen Union - lehne eine EU-Steuer weiterhin ab. Damit steht Berlin zumindest im Kreis jener Staaten, die mehr in die EU-Kasse einzahlen als sie herausbekommen, keineswegs alleine da. Und über Änderungen des Finanzsystems kann nur einstimmig entschieden werden.Die Gegner der EU-Steuer fürchten vor allem, ein solcher "Dammbruch" treibe die Ausgaben immer mehr in die Höhe, wie der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler dem "Handelsblatt" sagte. Tatsächlich zwingt das derzeitige System die Kommission dazu, sich mühsam mit dem Ministerrat und dem Europaparlament über den EU-Haushalt von derzeit 123 Milliarden Euro zu einigen. Wenn die "Nettozahler" davon sprechen, den eigenen Beitrag zu verringern, denken sie eher an geringere Ausgaben als an das Einführen neuer Steuern. Lewandowski verweist zu Recht darauf, dass er nur einen Auftrag der Regierungen abarbeitet, den diese 2006 erteilt hatten. Zu den "Optionen" gehörten eine Luftverkehrsabgabe, der Verkauf von CO2-Emissionsrechten oder eine Steuer auf Finanztransaktionen. Ende 2013 läuft die derzeitige EU-Finanzplanung aus, dann soll das System völlig neu sein. Dabei geht es vor allem um die Frage, was sich die EU künftig noch leisten will. Vor allem also um die Gewichte zwischen den Agrar-Ausgaben und anderen Politikbereichen. Zu seinen Vorschlägen als Grundlage der Finanzdebatte ließ Lewandowski seinen Sprecher gestern nur so viel mitteilen: "Es ist technisch und politisch unglaublich kompliziert."

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