Analyse Der Rad-Handel gewinnt, die Staatsbahn verliert

Paris · Es gibt wieder Fahrräder bei Décathlon zu kaufen. In der Filiale der französischen Sportartikelkette in der Avenue de Wagram in Paris war das zuletzt nicht immer so.

Genervt vom Streik im Nahverkehr der vergangenen Wochen, kamen viele Franzosen in der französischen Millionenmetropole auf die Idee, sich einen Drahtesel zuzulegen. „Die Leute haben uns die Türen eingerannt“, erzählt ein Angestellter. Offiziell heißt es bei Décathlon, dass sich die Absatzzahlen für Räder und deren Zubehör in den vergangenen Wochen bisweilen verdreifacht hätten. Der Konkurrenten GO Sport berichtet von einem Umsatzplus von 80 Prozent, mit einem enormen Sprung bei den Rädern mit Elektroantrieb.

Wenig erstaunlich ist, dass auch die Vermieter von E-Scootern mit dem Geschäft zufrieden sind. Der US-Anbieter Lime verzeichnet mehr als 1,5 Millionen Nutzungen im Dezember – doppelt so viele wie im November, als noch nicht gestreikt wurde. Der Höhepunkt wurde am 5. Dezember erreicht, als der erste Generalstreik ausgerufen wurde und das Land praktisch lahmlegte. An jenem Tag haben sich 8000 neue Kunden bei Lime eingeschrieben und allein in Paris wurden von dem Unternehmen 120 000 Fahrten registriert.

Doch auch andere Bereiche haben von dem Streik profitiert. Der dauert zwar noch immer an und geht damit in die achte Woche, doch inzwischen hat sich die Lage zumindest im Verkehrsbereich für die meisten Franzosen weitgehend entspannt. Zu den großen Gewinnern zählt die Online-Mitfahrzentrale BlaBlacar mit Sitz in Paris. Seit Beginn des Streiks am 5. Dezember seien 500 000 neue Registrierungen gezählt worden, heißt es. Die Online-Plattform hat nach eigenen Angaben 1,5 Millionen Mitglieder. Der absolute Hit: der Service BlablaLines, der gezielt die Berufspendler anspricht.

Auch das deutsche Unternehmen Flixbus gehört zu den Gewinnern des Streiks in Frankreich. Man habe in den Ferienwochen um den Dezember herum rund 40 Prozent mehr Fahrkarten verkauft, heißt es dort, da die staatliche Bahn SNCF in jener Zeit mit schweren Ausfällen zu kämpfen hatte.

Zu den Profiteuren während der Streikwochen zählen aber auch private Kinderkrippen und Tagesstätten oder vor allem Lieferservice für Essen. So verzeichnete Uber Eats an den Streiktagen in Paris mit großen Protestmärschen ein Umsatzplus von rund 40 Prozent.

Wo es Gewinner gibt, muss es aber auch Verlierer geben. Die Hotels in Paris hätten bis zu 40 Prozent weniger Umsatz gemacht, sagt Frank Delvau, Co-Präsident des Hotel- und Gaststättenverbandes Île-de-France. Nicht nur Touristen hätten Reisen storniert, vor allem kleinere Kongresse seien wegen des Chaos bei der Bahn und im Nahverkehr abgesagt worden. Auch für die Restaurants seien es sehr schlechte Wochen gewesen, erklärt Delvau, da viele Arbeitnehmer die Möglichkeit des Home-Office genutzt hätten und deshalb die in Frankreich sehr beliebten Mittagstische in den Bistros oft leer geblieben sind.

Aber auch viele Kultureinrichtungen wurden Opfer des Streiks. Vor den Museen bildeten sich nur selten Schlangen, was in Paris sehr ungewöhnlich ist. Die zahlreichen Musicals und Theater klagen über massive Einbußen während der Streikwochen. Bertrand Thamin, Präsident der nationalen Vereinigung der Privaten Theater (SNDTP) berichtet von einem Einbruch der Besucherzahlen von 40 Prozent. Am schwersten vom Streik betroffen ist allerdings der französische Verkehrsbereich. Die Verantwortlichen der Pariser Nahverkehrsbetriebe summieren die durch den Streik verursachten Kosten inzwischen auf 200 Millionen Euro. Noch härter trifft es die Staatsbahn SNCF, rund eine Milliarde Euro kostete der Streik sie bisher. Über die Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft wird noch gestritten.

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