Rot-grünes Irrlichtern

Was sich die SPD an diesem Wochenende wieder geleistet hat, muss bei der CDU-Konkurrenz Entzücken auslösen. Im Willy-Brandt-Haus stritt man über eines der wichtigsten politischen Themen der Gegenwart und Zukunft - doch die Öffentlichkeit musste draußen bleiben.

Ein erstaunlicher Vorgang, zumal die Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) und Kanada (Ceta) die ganze Nation und die EU betreffen. Wegen ihrer teils fragwürdigen Inhalte müssten sie ein prototypisches Debattenthema der Sozialdemokraten sein. Die Geheimniskrämerei ist nicht nur mit Blick auf die demokratische Willensbildung problematisch; sie ist auch politisch dumm, denn gerade die SPD braucht dringend ein Reizthema, das auch Leute anspricht, die nicht zur Stammkundschaft gehören.

Es wird die Genossen nicht trösten, dass auch die grüne Wahlverwandtschaft derzeit irrlichtert. Das Lamentieren prominenter Ökopaxe über den Asylkompromiss im Bundesrat lässt jene Bürger ratlos zurück, die sich im grün-liberalen Fortschrittsmilieu gerade einzugewöhnen begannen. Dazu gehören auch die Sympathisanten des seriösen Winfried Kretschmann , der sich redlich bemüht hat, die Realität zur Kenntnis zu nehmen und einen Ausgleich der Interessen herzustellen.

Kein Wunder, dass SPD und Grüne vergeblich darauf hoffen, dass die Wähler sie mal wieder mit demoskopischen Signalen aufmuntern. Stattdessen herrscht Tristesse, wie gerade bei den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zu sehen war. Es ist fast schon tragisch, dass bei den Genossen niemand in der Lage zu sein scheint, die Malaise zu analysieren und daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Was der SPD und auch den Grünen fehlt? Na, ein Thema, das die breite Masse bewegt und nicht nur Sozialarbeiter und Gewerkschaftssekretäre. Zum Beispiel eine Reaktion auf die digitale Revolution, die gerade unser gesamtes Leben umkrempelt. Oder eine offensive Strategie gegen die globalen Datenkraken namens Google, Amazon und Facebook . Vielleicht auch eine Meinung zur Pkw-Maut. Oder endlich mal eine verständliche Position zum NSA-Überwachungsskandal, den offenbar auch der SPD-Chef klammheimlich aussitzen will.

Es mag klug sein, wenn Sigmar Gabriel den großen DGB mit ins Boot nimmt, um für die kommenden TTIP-Stürme gerüstet zu sein. Bislang ist es ihm jedenfalls nicht gelungen, seinen Kurs zu vermitteln. Wie er den TTIP-Beschluss der Partei nun in die Verhandlungen einspeisen will, bleibt sein Geheimnis. Die SPD irrlichtert auch, weil Gabriel die Quadratur des Kreises versucht: Er will, dass ihm Amerikaner (wegen TTIP und NSA), Kanzlerin und SPD-Genossen gleichzeitig auf die Schulter klopfen. Da kann er lange drauf warten.

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