Mit radikaler Aufklärung rettet Siemens seinen Ruf

New York/München. Einen besseren Draht ins Weiße Haus könnte sich Siemens kaum wünschen: Die Sprecherin von Präsidenten-Gattin Michelle Obama wechselt ins Führungsteam von Siemens USA. Camille Johnston, eine Vertraute der First Lady, soll künftig das Münchner Unternehmen ins rechte Licht rücken

New York/München. Einen besseren Draht ins Weiße Haus könnte sich Siemens kaum wünschen: Die Sprecherin von Präsidenten-Gattin Michelle Obama wechselt ins Führungsteam von Siemens USA. Camille Johnston, eine Vertraute der First Lady, soll künftig das Münchner Unternehmen ins rechte Licht rücken. Es ist das letzte in einer Reihe von Zeichen, dass der Konzern die Korruptions-Affäre überwunden hat. Vor allem auf seinem wichtigsten Einzelmarkt USA legte Siemens eine 180-Grad-Wende hin. Vor zwei Jahren musste der Konzern noch fürchten, wegen des Schmiergeld-Skandals von staatlichen Aufträgen ausgeschlossen zu werden. Eine Horror-Vision. Doch heute kommen nirgendwo auf der Welt so viele neue Bestellungen herein wie in den USA. Allein die Regierung vergab aus ihren Konjunkturpaketen bereits Aufträge für umgerechnet gut zwei Milliarden Euro an Siemens. Gefragt sind Technik für Strom-Netze und -Erzeugung, Medizingeräte, Stadtbahnen und Hochgeschwindigkeitszüge. Präsident Barack Obama persönlich hatte im April auf seiner Tour durch den Mittleren Westen im Windanlagen-Werk in Fort Madison vorbeigeschaut. Er sei "wahnsinnig beeindruckt" gewesen von der Fertigung, sagte er, lobte die Tatkraft von Management und Mitarbeitern - und verlor kein einziges Wort zu den Verfehlungen der Vergangenheit. Dieser erste Besuch eines US-Präsidenten in der 163-jährigen Geschichte des Konzerns zahlte sich aus: Im vergangenen Quartal lag das Auftragsplus von Siemens in den USA gegenüber dem Vorjahreszeitraum bei satten 51 Prozent. Und das, obwohl der Erzrivale General Electric einen Heimvorteil hat. Siemens hielt mit einer millionenschweren Image-Kampagne dagegen. Mittlerweile nimmt der Konzern jeden fünften Euro in den USA ein, das ist weit mehr als im Boom-Land China. Vielen Amerikanern ist gar nicht klar, dass Siemens ein deutsches Unternehmen ist - ein Phänomen, das auch auf andere deutsche Konzerne zutrifft. Von den weltweit 402 000 Mitarbeitern arbeiten mittlerweile 64 000 in den Vereinigten Staaten; kein anderes deutsches Unternehmen beschäftigt so viele Menschen in den USA. Milliardenschwere Zukäufe und die Verlagerung der Fertigung ins Land ließen die Zahl nach oben schnellen. Obamas verbales Wohlwollen dokumentiert die veränderte Tonlage, die das öffentliche Amerika gegenüber den Deutschen anschlägt. Siemens ist neben Frankfurt auch in New York börsennotiert, steht deshalb unter besonderer Beobachtung. Ende 2008 hatten das US-Justizministerium und die Börsenaufsicht SEC dem Konzern noch ein Rekord-Bußgeld von rund 600 Millionen Euro aufgebrummt, weil Siemens-Mitarbeiter systematisch in aller Welt geschmiert hatten, um an Aufträge zu kommen. Das Management reagierte damals radikal, um die amerikanischen Behörden zu besänftigen. Aufsichtschef Gerhard Cromme und der neu geholte Konzernlenker Peter Löscher sägten die alte Führungsriege ab, klärten radikal auf. Diesen Wandel bestätigte kürzlich auch Ex-Bundesfinanzminister Theo Waigel, der im Auftrag der Amerikaner die Einhaltung von Recht und Gesetz bei Siemens überwacht. Er sehe keine Gefahr systematischer Korruption mehr, sagte Waigel. Und er lobte zugleich die Offenheit, mit der Siemens das unangenehme Thema anpackt: "Mir ist noch nie ein Gespräch verweigert worden, mir ist noch nie ein Dokument vorenthalten worden."

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