Klimakanzlerin, das war einmal

Die Termingründe der Bundeskanzlerin waren vorgeschoben. Es gab in Berlin gestern nichts, was Angela Merkels Anwesenheit zwingend erfordert und die Absage des gestrigen Klimagipfels in New York gerechtfertigt hätte.

Natürlich, das Treffen sollte nicht viel mehr als Stimmung machen für die eigentlichen Verhandlungen im nächsten Jahr. Trotzdem hätte Angela Merkel reisen müssen. Nicht nur, weil 120 andere Staatschefs kamen und es schlichtweg ungehörig ist, wenn die Regierungschefin der viertgrößten Wirtschaftsnation der Welt einer Einladung des UN-Generalsekretärs nicht folgt. Sondern weil es mehr denn je um die Frage geht, ob die Weltgemeinschaft ihre Verantwortung angesichts der gigantischen Herausforderung des Klimawandels annimmt oder nicht.

Angela Merkel hat sich beim G-8-Gipfel in Heiligendamm 2007 als Klimakanzlerin profiliert. Das wirkt nachträglich wie Schauspielerei, wenn sie sich jetzt - pardon, Frau Hendricks - nur zweitklassig vertreten lässt. Und noch etwas kommt hinzu: Deutschland war Vorreiter beim Umbau der Energieversorgung. Hier wurde und wird der ehrgeizige Versuch unternommen, das Wachstum vom Verbrauch fossiler Brennstoffe abzukoppeln, was tatsächlich die einzige realistische Perspektive für den Globus ist. Darauf guckt die Welt. Merkels Fehlen ist als indirektes Eingeständnis zu verstehen, dass dieser Versuch gerade zu scheitern droht und man damit auf einem Gipfel nicht mehr glänzen kann. In Deutschland steigt der CO{-2}-Ausstoß wieder. Wenn ein so sorgenfreies Land es nicht kann, wäre Merkel gefragt worden, wer dann?

New York war ein Klimagipfel der Appelle. Von den Inselstaaten klangen sie schon verzweifelt, denn sie saufen ab. Doch die Welt ist mit ihren vielen lokalen Konflikten beschäftigt. Und mit dem rasanten, nachholenden Wachstum in den Schwellenländern. Sie hat kein Auge für das große Schwungrad Klimawandel, das sich noch beruhigend langsam bewegt. Sie pult jeden Liter Öl, jedes Gramm Kohle, jeden Kubikmeter Gas aus der Erde, mit immer neuen Techniken. Aber Schwungräder haben an sich, dass sie sich bald immer schneller, dann unaufhaltsam drehen. Eine Erderwärmung um zwei Grad wird schon mit dem bisherigen Ausstoß an Kohlendioxid erreicht werden; darüber beginnt dann die Sphäre der nicht rückholbaren Klimaprozesse, die Massen von Menschen treffen werden. Gut ist, dass es inzwischen kaum noch Streit um die Zusammenhänge von CO{-2}-Ausstoß und Klimawandel gibt. Schlecht ist, dass das Vernunftwesen Mensch zwar auf 50 Jahre im Voraus denken, aber nicht entsprechend handeln kann, weil das Morgen wichtiger ist als das Übermorgen. Und dass die deutsche Kanzlerin da auch keine große Ausnahme darstellt.

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