Angela Merkel zwischen den Fronten

Die gute Nachricht erreichte die Bundeskanzlerin gestern kurz vor ihrer Regierungserklärung: Frankreichs Staatspräsident François Hollande wird heute am Vor-Treffen der Merkel-Verbündeten in der EU-Vertretung Österreichs teilnehmen - zum ersten Mal.

Zwar rechnet niemand damit, dass der Sozialist weitreichende Zusagen zur Aufnahme zusätzlicher Flüchtlinge aus der Türkei machen wird (dies hatte sein Premierminister Manuel Valls schon am Wochenende bei der Sicherheitskonferenz in München ausgeschlossen), aber die moralische Unterstützung für die deutsche Regierungschefin zählt viel. Immerhin machten schon Spekulationen die Runde, Angela Merkel werde beim anschließenden EU-Gipfel in Brüssel weitgehend isoliert sein. Doch der Eindruck täuscht. Österreich, die drei Benelux-Staaten, Finnland, Portugal, Slowenien, Schweden und sogar Griechenland stehen hinter dem Plan A der Kanzlerin, bei dem es darum geht, jährlich zwischen 200 000 und 300 000 Flüchtlinge aus der Türkei aufzunehmen und diese dann zu verteilen.

Sogar Athens Premier Alexis Tsipras , der die deutsche Regierungschefin noch während des Wahlkampfes im Herbst wegen ihrer harten Haltung zur Sanierung des Landes regelrecht verteufelte, weiß inzwischen, dass er Merkel braucht: Sollten die vier Länder des neuen "Ost-Blocks" in der EU sich nämlich mit ihrem Plan B durchsetzen und die Grenze zwischen Mazedonien und Griechenland dichtmachen, müsste Athen mit einem Rückstau von Hunderttausenden Asylbewerbern klarkommen. Das will die Kanzlerin vermeiden, weil sie in diesem Fall den Kollaps des Landes fürchtet. Dabei darf die deutsche Regierungschefin wohl auf noch mehr Unterstützung hoffen. Zwar fehlt ein spanischer Vertreter beim Treffen der "Koalition der Willigen" ebenso wie Italiens Premier Matteo Renzi, der sich in den zurückliegenden Wochen mehrfach deutlich von Merkel abgesetzt hatte. Er fürchtet, dass die Sparpolitik, die auch Rom massiv belastet, vor allem den Populisten helfen könnte. Trotzdem hieß in den vergangenen Tagen, Renzi habe seinen Widerstand gegen die Zusammenarbeit mit Ankara aufgegeben und sei sogar bereit, seinen Anteil an der Drei-Milliarden-Spritze zur Sanierung der türkischen Flüchtlingslager zu übernehmen. Überraschenderweise bemüht sich auch der tschechische Premier Bohuslav Sobotka, der sich eigentlich den vier Blockierern um den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán angeschlossen hat, Berlin auf keinen Fall zu verärgern. Und selbst die baltischen Staaten stehen - wenn auch etwas stiller und eher in zweiter Reihe - hinter dem Plan der Kanzlerin. Als ausgesprochene Gegner Merkels gelten neben der Regierung in Budapest vor allem die Slowakei und Polen sowie Rumänien und Bulgarien. Doch in Brüssel wird nicht ausgeschlossen, dass es auch hier noch Bewegung geben könnte. Denn ohne deutsche Unterstützung dürfte es den osteuropäischen Staaten nicht gelingen, ihr Anliegen bei den britischen Reformwünschen durchzusetzen.

Vor allem Warschau befürchtet, dass sich London mit seinem Wunsch nach Kürzung der Sozialleistungen für EU-Zuwanderer durchsetzen könnte. Das würde die polnischen Gastarbeiter auf der Insel empfindlich treffen. Merkel sei zwar durchaus bereit, dem britischen Kollegen David Cameron entgegenzukommen, sie könnte aber auch einen allzu deutlichen Kahlschlag auf Kosten der Ost-Länder verhindern. Doch dazu müsste diese sich in der Flüchtlingsfrage bewegen.

Tatsächlich sind die angeblich so harten Fronten, zwischen die die Bundeskanzlerin heute geraten könnte, also keineswegs so fest gefügt. Dennoch könnte es auf dem EU-Gipfel , so heißt es in Brüssel, noch "ein hartes Stück Arbeit" werden, weil Merkel zumindest zwei besonders entschiedene Gegner noch weich klopfen müsste: Ungarns Premier Orbán und den slowakischen Regierungschef Robert Fico . Die scheinen - zumindest bisher - in keiner Weise kompromissbereit.

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