Keine Extrawurst für Warschau

Die Heftigkeit der polnischen Reaktion zeigt: Es ist eine gewisse Nachhilfe erforderlich. Die EU-Kommission ist eben nicht der verlängerte Arm von Berlin, Paris oder London zur Disziplinierung politisch missliebiger Regierungen.

Die Behörde hat vielmehr einen klar umrissenen Auftrag: Als "Hüterin der Verträge" wacht sie darüber, dass geltende Bestimmungen eingehalten werden. Die Einleitung des Prüfverfahrens auf Rechtsstaatlichkeit trägt also tatsächlich Züge einer Routine-Prozedur, wie Kommissionschef Jean-Claude Juncker die polnische Regierungschefin zu beruhigen versuchte.

Doch in Warschau weiß man natürlich um die Symbolik dieses Instruments. Die neue Regierung steht im Verdacht, die Demokratie auszuhöhlen. Das ist Wasser auf die Mühlen der Opposition. Dabei könnten beide Seiten wissen, dass das Verfahren weitaus weniger gefährlich ist als es klingt. Schon die Rügen an die Adresse Ungarns haben gezeigt, dass sich jedes Gesetz mit ein paar Kniffen EU-konform machen lässt, sodass Brüssel keine Handhabe mehr hat. Somit fand gestern in Brüssel zwar viel Symbolpolitik statt. Von einer imperialistischen Einflussnahme auf Warschau kann aber keine Rede sein.

Europa war sich des Risikos solcher Vorwürfe bewusst, als man die Rechtsstaatlichkeitsprüfung 2014 nach intensiver Beratung einführte. Doch die Gemeinschaft brauchte nach der Ära Berlusconi in Italien und den Umbauten des nationalkonservativen Viktor Orbán in Ungarn ein Instrument, um auf Verstöße gegen demokratische Grundwerte zu reagieren. Nun hat man es hervorgeholt und zunächst die Polen blamiert. Falls das jedoch wirkungslos verpufft, könnte sich Brüssel am Ende selbst beschädigen.

Polen glaubte, die Gunst der Stunde nutzen zu können, um - im Fahrwasser der britischen Forderung einer EU-Reform - vertraglich zugesicherte Freiheiten einer Demokratie zurückzubauen. Hinderliche Verfassungsorgane wollte die neue Regierung ebenso mundtot machen wie die freie Presse. Das jedoch hat nichts mit innenpolitischer Modernisierung zu tun. Und Brüssel kann solches Sägen an den Pfeilern eines Rechtsstaats nicht schweigend übergehen, ohne sich selbst infrage zu stellen.

Was nun folgt, ist keine Politik, sondern ein Rechtsstreit. Denn die Kommission argumentiert ja nicht aus politischer Besserwisserei. Die demokratische Grundstruktur der Union ist vielmehr das Ergebnis juristischer Ausarbeitungen der höchsten europäischen Gerichte. Und Warschau muss eigentlich nicht viel tun, um den heftig kritisierten Bewacher wieder loszuwerden: Es würde schon genügen, die eigenen Zusagen ernst zu nehmen, die Polen beim Beitritt zur europäischen Familie abgegeben hat. Sie bilden für jedes Mitglied der Gemeinschaft den unantastbaren Rahmen der Politik.

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