Vom Jäger zum Gejagten

Düsseldorf · Nach den Silvester-Exzessen in Köln, bei denen überwiegend ausländische Täter offenbar Hunderte Frauen sexuell belästigt und bestohlen haben, lässt Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD ) kein gutes Haar an seiner Polizei . Schonungslos spricht er von "gravierenden Fehlern", sogar vom "Vertrauensverlust der Bevölkerung in den Rechtsstaat", und fordert ein hartes Vorgehen gegen die Täter.

Aber was ist mit ihm selbst? Ist ein Minister, der seiner mit Abstand größten Polizeibehörde derartiges Versagen attestiert, denn noch zu retten?

Um die Antwort vorwegzunehmen: ja. Jäger dürfte die Krise politisch überleben, falls ihm nicht doch eine persönliche Verstrickung nachgewiesen wird. Darauf deutet jedoch nichts hin, und so drohen dem 54-Jährigen wohl nur ein paar weitere unangenehme Tage voller kritischer Fragen. Er wird sie stets mit dem Verweis auf Fehler der ihm untergeordneten Behörden beantworten, mit betont selbstkritischer Geste. Obwohl gerade das permanente Deuten auf andere eben keine Selbstkritik ist. Als krisenerprobter Minister wird Jäger dann 2017 an der Seite von Regierungschefin Hannelore Kraft (SPD ) in den Landtagswahlkampf ziehen - und vielleicht sogar eines Tages ihr Nachfolger.

Trotzdem ist der Fall Köln alles andere als landespolitische Routine. Denn natürlich reicht ein solches Debakel für einen Minister-Rücktritt aus. Zudem ist Jägers Behauptung, er habe keinen Einfluss auf das operative Versagen der Kölner Behörde gehabt, doppelt falsch. Erstens, weil es bei Politikern fast nie um operative Verantwortung geht. Politische Verantwortung wiederum beinhaltet, bei gravierenden Schieflagen im eigenen Verantwortungsbereich auch dann zurückzutreten, wenn man nicht persönlich involviert war. Zweitens hat Jäger sehr wohl auch operative Fehler gemacht. Dass Kölns Polizeipräsident Wolfgang Albers seiner Aufgabe nicht gewachsen ist, war schon vor Silvester klar. Im Oktober 2014 unterschätzte er eine angemeldete Demonstration gewaltbereiter Hooligans in der Kölner Innenstadt. Ergebnis: Die völlig überlasteten Polizisten mussten zusehen, wie Chaoten Einsatzfahrzeuge umwarfen und 59 ihrer Kollegen verletzten. Im vorigen Sommer wurden dann die entwürdigenden Aufnahmerituale eines Kölner Sondereinsatzkommandos bekannt. Auch da machte Albers keine gute Figur - doch Jäger hielt an dem Parteifreund fest.

Sein politisches Überleben ist also keine Frage von Geschick, sondern hängt mit zwei für ihn glücklichen Zufällen zusammen. Der erste: Hannelore Kraft hat keine Alternative. Neben Finanzminister Walter-Borjans ist Jäger der einzige sozialdemokratische Landesminister, der im nächsten Wahlkampf Erfolge verkaufen kann. Obwohl NRW überproportional mehr Flüchtlinge aufnimmt als alle anderen Bundesländer, werden sie hier überdurchschnittlich gut versorgt - was inoffiziell selbst die Opposition anerkennt. Auch mit dem "Kommunal-Soli", bei dem starke Gemeinden ihren verarmten Nachbarkommunen finanziell unter die Arme greifen müssen, hat Jäger gepunktet.

Zum zweiten profitiert der SPD-Mann von der Schwäche der Opposition. Weil sich die vier innenpolitischen Hauptakteure der CDU-Fraktion in Rivalitäten verzetteln, kann die Partei keinen starken Gegenspieler aufbauen. Beim Thema "Silvester-Skandal" scheint die Düsseldorfer Opposition damit eine politische Chance zu verpassen - wieder einmal.

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