Spanien verliert Zeit, die es gar nicht hat

Madrid · Schlimmer hätte es für das Euro-Krisenland Spanien, das Stabilität und Reformen braucht, kaum kommen können: Der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy hat nach seiner Wahlschlappe im Dezember praktisch keine Chance, eine neue Regierung zu bilden.

Die oppositionellen Sozialisten mit ihrem Spitzenkandidaten Pedro Sánchez sind derweil so zerstritten, dass auch eine Mitte-links-Regierung unter Einschluss der neuen und mächtigen Protestbewegung Podemos in immer weitere Ferne rückt.

Ein monatelanger Machtkampf droht das Königreich, das immer noch unter der Schuldenkrise und dramatischer Massenarbeitslosigkeit leidet, zu lähmen. Ein Ringen, das nach derzeitiger Lage wenig Aussicht auf einen schnellen Sieger, aber jetzt schon zwei Verlierer hat: den spanischen Wähler und die EU, die darum zittert, dass Spanien, in dem Hoffnung auf Erholung bestand, wieder von der Bahn abkommt.

Ende Januar will Rajoy, der seine absolute Mehrheit verlor und nun keinen Partner für eine zweite Amtszeit findet, den verzweifelten Versuch starten, vom Parlament erneut zum Regierungschef gewählt zu werden. Doch er gilt als aussichtslos.

Vor allem, weil Rajoy nach vier Jahren umstrittener Sparpolitik, die er im Alleingang und ohne Dialog durchsetzte, viel verbrannte Erde und eine zornige Opposition hinterließ. Auch der Verdacht, dass Rajoy in Korruptionsfälle verwickelt ist oder diese zumindest deckte, trug zum Vertrauensbruch bei.

Wenn bis Ende März keine Regierung steht, muss Spaniens König und Staatsoberhaupt Felipe Neuwahlen ansetzen, die dann vielleicht Ende Mai stattfinden könnten. Ein Albtraum, der den politischen Stillstand weiter verlängern dürfte. Politische Erstarrung ist jedoch das Letzte, was sich Spanien derzeit erlauben kann. Denn die tiefe Finanz- und Wirtschaftskrise ist noch lange nicht überwunden: Spaniens Schuldenberg wächst weiter. Zumal Rajoy die von der EU-Kommission geforderte Ausgabendisziplin zuletzt wieder über Bord warf und das Haushaltsdefizit nicht unter Kontrolle brachte. Es war mit annähernd fünf Prozent im Jahr 2015 das höchste der ganzen Eurozone. Spaniens erstaunliches Wirtschaftswachstum, das aktuell auf rund drei Prozent geschätzt wird, ist zum Teil ein Aufschwung auf Pump.

Auf einem anderen Blatt steht, ob von einer neuen Mitte-links-Regierung unter Führung der Sozialisten mehr Sparsamkeit zu erwarten ist. Sozialistenchef Pedro Sánchez wie der Podemos-Vorsitzende Pablo Iglesias sind erklärte Gegner der EU-Sparpolitik, wollen die stark geschrumpften Etats für Arbeitsförderung, Bildung, Forschung und staatliche Investitionen ausbauen.

Wenig Zweifel besteht, dass ein Wandel in Spanien nottut. Die offiziellen Regierungsmeldungen über die "Schaffung von hunderttausenden neuen Jobs" fallen in sich zusammen, wenn man weiß, dass 90 Prozent dieser Arbeitsplätze "Müll-Zeitverträge" sind, die nur einige Tage, Wochen oder Monate bestehen. Die offizielle Arbeitslosenrate ist mit 21 Prozent weiterhin schockierend hoch. Die Rentenkasse wurde von der konservativen Regierung ausgeplündert, um die ältere Bevölkerung bei der Stange zu halten. Arbeit für eine neue Regierung gibt es also mehr als genug. Umso schlimmer, dass Spanien durch dieses quälend lange Machtgerangel wertvolle Zeit verliert.

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