Gefährliche Selbstgerechtigkeit

Die Empörung über die mutmaßliche US-Spionage beim deutschen Geheimdienst erscheint gekünstelt. Richtig überraschen können Nachrichten über das Ausmaß amerikanischer Spitzeltätigkeit nicht mehr – nach den Enthüllungen Edward Snowdens über die Ausspähung des Internets, vor allem aber, seit klar ist, dass selbst das Handy der Kanzlerin vor den Lauschangriffen aus Washington nicht sicher war (und ist?).

Die USA , das ist die Erkenntnis der letzten Monate, reklamieren für sich das Recht, die Gesetze anderer Länder, auch befreundeter, zu missachten. Sie tun das mit erschreckend gutem Gewissen - offiziell im Namen der Sicherheit, inoffiziell auch im ureigensten nationalen Interesse.

Dabei irritiert das Desinteresse der USA an der deutschen Position und ihr Unverständnis für den Ärger, den die Enthüllungen auslösen. Man entdeckt dahinter eine amerikanische Haltung, die auch in anderen Poltikfeldern durchschlägt und sich vereinfacht so zusammenfassen lässt: Wir, die USA , handeln im Interesse der internationalen Sicherheit und/oder zum eigenen Schutz. Und auch Letzteres bedroht niemanden, denn wir sind die Guten. Und kann schlecht sein, was dem Guten dient?

Für diese gefährliche Naivität gibt es Beispiele: Als die USA das Raketenabwehrsystem in Osteuropa anstrebten, konnten sie nicht verstehen, dass dies von Russland als Bedrohung wahrgenommen wurde. Als sie in die Kriege im Irak zogen, taten sie dies gegen alle internationalen Regeln - im Namen von Freiheit und Sicherheit. Die Haltung zeigt sich in Guantanamo, dem Drohnenkrieg und im langen Zögern, auf die Produktion von Landminen zu verzichten.

Alles wird gut, wenn die Guten stark sind, dieses Denken kennen wir aus der US-Innenpolitik. Die "Stand-your-Ground-Gesetze" und die "Castle Laws" erlauben es in vielen Bundesstaaten jedem, der sich bedroht sieht oder einen Eindringling im Haus wähnt, tödliche Schüsse abzugeben. Aus Waffen, die für alle erhältlich sind - weil sie in Händen Gesetzestreuer der Sicherheit dienten. Dieses Denken tötet in den USA viele Unschuldige. Als Prinzip internationaler Politik gefährdet es den Frieden. Es ist selbstgerecht zu glauben, Machtmittel in den eigenen Händen seien im Sinne aller. Auch die Taliban fühlen sich im Recht. Und wenn jeder für sich mehr Sicherheit beansprucht, als er anderen zubilligt, beginnt ein Teufelskreis der Bedrohung.

Bezogen auf die Geheimdienst-Zusammenarbeit unter Verbündeten bedeutet diese Hybris ein Ende des Vertrauens und eine Spirale gegenseitiger Ausspähung. Das gefährdet den Westen als Einheit. Schon ist von Gegenspionage auf deutscher Seite die Rede. Die USA haben sich das selbst zuzuschreiben. Ihrer Sicherheit dient diese Entwicklung nicht.

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