Fremde in der Stadt
Wenn Deutschland nur aus Großstädten bestünde, wäre Angela Merkel nicht Kanzlerin. Von Berlin über München bis nach Saarbrücken spielt ihre Union allenfalls die zweite Geige.
Seit dem Wochenende gilt das selbst im wohlhabenden Düsseldorf. Seit Jahren verliert die CDU ein Rathaus nach dem nächsten an SPD und Grüne. Dresden ist die letzte Landeshauptstadt mit schwarzem Stadtoberhaupt.
Jeder dritte Deutsche lebt in eine Großstadt. Zum Glück für CDU und CSU muss man sagen: "nur". Doch die Metropolen ziehen mehr und Menschen an. Schon vor zehn Jahren propagierte Jürgen Rüttgers daher eine Großstadtstrategie für die CDU . Damals waren noch seine Parteifreunde Oberbürgermeister in Hamburg, Frankfurt und Stuttgart. Heute regieren dort Stadtoberhäupter der SPD , in Stuttgart sogar ein Grüner.
Ein leichtes Pflaster waren die Städte für die Union noch nie, wo die SPD bei der Arbeiterschaft punkten konnte. Aber gerade unter Merkel hat die CDU viel getan, sich als moderne Partei dem urbanen, bürgerlichen Publikum zu empfehlen. Ihr neues, von der Ehe unabhängiges Familienbild entspricht der Lebenswirklichkeit der Städte. Das Engagement für frühkindliche Betreuung müsste auch von jener gestressten städtischen Mittelschicht anerkannt werden, die Beruf und Familie unter einen Hut bringen muss. Doch am Ende wählt diese eher die Grünen. Unionspolitiker tun den Öko-Konkurrenten als "Lifestyle-Partei" der bürgerlichen Mitte ab. Doch wahr ist auch, dass die Grünen bei Urbanität als das Original gelten, die CDU als fremd. Die Menschen spüren, dass die Union mit dem eigenen Modernisierungskurs noch hadert. Das zeigt sich an Symbol-Themen wie der Homo-Ehe, gegen deren Gleichstellung die Partei ein Rückzugsgefecht führt, um die konservative Galerie zu beeindrucken. Großstädte aber sind nicht konservativ, sie stehen für Veränderung. Als Großstadtpartei fehlt der Union daher Authentizität.
Wahrgenommen wird sie eher für ihre Wirtschaftskompetenz. In Zeiten hoher Beschäftigung steht diese aber beim städtischen Wähler weniger im Fokus. Und als Garant öffentlicher Sicherheit bekommt sie nur bei den Älteren viele Stimmen.
Allerdings klagt die Union noch auf hohem Niveau. Als einzige Partei ist sie heute für bundesweit 40 Prozent gut. Sie profitiert mehr als andere von Bindungen, die auf dem Land noch stärker sind - an Kirchen, Vereine und Parteien. Diese Treue aber schwindet überall - in den Städten nur schneller. Anteile unter 30 Prozent entsprechen wohl eher dem, was eine Partei in einer wuseligen Welt gewinnen kann - wie sie für Metropolen typisch ist. Und mehr und mehr fürs ganze Land. Insofern hat die Union allen Grund, sich Sorgen zu machen.