Stalin, Hitler und Amerikas Annäherung an Teheran

Washington · Wie schnell sich das Blatt manchmal wenden kann, sieht man an Lindsey Graham. Noch vor neun Monaten versuchte der Senator aus South Carolina, den Kongress auf eine denkbar harte Linie gegen den Iran einzuschwören.

Da bastelte er an einer Resolution, die dem US-Präsidenten präventiv grünes Licht für einen Militärschlag geben sollte für den Fall, dass Teheran Atombomben baut. Jetzt ist es ausgerechnet Graham, neben John McCain der führende außenpolitische Hardliner im Lager der Republikaner, der einer Kooperation mit den Iranern das Wort redet. Ungewohnt pragmatisch denkt der Südstaatler über ein Zweckbündnis mit dem Erzfeind nach, um die Islamistentruppe Isis zu stoppen, über eine Koalition, die er mit jener der Alliierten im Zweiten Weltkrieg vergleicht. "Warum haben wir mit Stalin zusammengearbeitet? Weil er nicht so schlimm war wie Hitler."

Die Offensive der fanatischen Miliz, sie zwingt Amerikaner und Iraner geradezu zu einem Pakt, auch wenn dies natürlich nicht bedeutet, dass beider Interessen identisch sind. Die schiitischen Geistlichen in Teheran sehen im irakischen Premier Nuri al-Maliki einen Glaubensgenossen, der ihnen - trotz mancher Widersprüche - einen Einfluss im Zweistromland garantiert, wie sie ihn in der modernen Geschichte noch nie besaßen. Das Ringen mit den Isis-Rebellen ordnen sie ein in einen regionalen Machtkampf mit den Sunniten , der die 1916 im Sykes-Picot-Abkommen markierten Grenzen des Nahen Ostens dramatisch neu ordnen könnte.

Die Regierung Barack Obamas dagegen ist nicht bereit, al-Maliki ohne Vorbehalte den Rücken zu stärken. Für sie ist er eher zur Belastung geworden, ein kleingeistiger, in den Kategorien von Nullsummenspielen denkender Politiker, der die irakischen Sunniten an den Rand drängte, statt die Macht mit ihnen zu teilen und so den Zerfall der Republik zu verhindern. Nur: Im Vergleich zu einem Bagdad unter der schwarzen Flagge der Isis ist al-Maliki noch immer das kleinere Übel. Wenigstens vorläufig soll er gestützt werden, und zwar im Tandem mit den Erben des Ajatollah Khomeini.

Nach Informationen des "Wall Street Journal" will das Weiße Haus den Irak-Dialog mit iranischen Emissären noch diese Woche einläuten, um die Antwort auf die Isis-Offensive besser zu koordinieren. Einstweilen ist offen, welche diplomatischen Kanäle Washington dafür benutzt. Ein Forum, das sich anbietet, ist die neue, am Montag in Wien begonnene Verhandlungsrunde über das Nuklearprogramm Teherans. Allerdings möchte Außenminister John Kerry tunlichst den Eindruck vermeiden, als würde man die Iraner für eine Zusammenarbeit in Sachen Irak mit Zugeständnissen im Nuklearstreit belohnen. Bis am 20. Juli die Frist abläuft, soll sich erweisen, ob ein belastbarer Deal möglich ist, eine Vereinbarung, die auch Israel die Angst vor den atomaren Ambitionen der Islamischen Republik nimmt. Kerry weiß um die Fallstricke, die auf der Zielgeraden solcher Verhandlungen lauern.

So sehr die Annäherung nach einer plötzlichen Volte aussieht, es ist nicht das erste Mal, dass beide Staaten auf Tuchfühlung gehen, wenn regionale Interessen sich decken. 2001, nach den Terroranschlägen des 11. September, setzte George W. Bush auf die stillschweigende Billigung der Iraner, mit denen ihn die Absicht verband, die (sunnitischen) Taliban von der Macht in Kabul zu vertreiben.

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