Der Papst zwischen Glauben und Moderne

Washington. Papst Benedikt beschreitet einen schmalen Grat, wenn er heute seinen ersten Besuch als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche in den USA beginnt

Washington. Papst Benedikt beschreitet einen schmalen Grat, wenn er heute seinen ersten Besuch als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche in den USA beginnt. Der Erfolg seiner sechstägigen Reise wird davon abhängen, wie er die Auftritte nutzen kann, die ihm große öffentliche Aufmerksamkeit garantieren - seien es die Messen in den Sportstadien von Washington und New York, der Besuch an "Ground Zero", die Begegnung mit US-Präsident George W. Bush oder die Rede vor den Vereinten Nationen. Selbst wenn die Tickets für die Gottesdienste wie warme Semmeln weggingen, darf dieser Eindruck nicht täuschen: Außerhalb der katholischen Welt der USA ist Benedikt XVI. im dritten Jahr seiner Amtszeit eine weithin unbekannte Größe. Jeder vierte Amerikaner weiß mit dem Oberhaupt der Katholiken nichts anzufangen. Damit liegt sein Bekanntheitsgrad in dem überwiegend protestantischen Land beispielsweise deutlich niedriger als der von Skandalnudeln wie Paris Hilton oder Britney Spears.Gerade deshalb zählt der erste Eindruck, den der Papst hier hinterlässt. Verstärkt er seinen Ruf unter Theologen, er wache als "Gottes Rottweiler" streng darüber, dass seine allzu eigenwilligen Schäfchen im amerikanischen Kirchenvolk bei der Herde bleiben? Oder führt er sich als "Gottes Bernhardiner" ein und eilt den bedrängten Katholiken zur Hilfe, um die Krise ihrer Ortskirchen zu überwinden? Letzteres dürfte im pastoralen Teil seiner Reise ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Denn dass die Katholiken heute die größte Einzelkirche der Vereinigten Staaten stellen, verdanken sie allein der Zuwanderung aus Lateinamerika. Andernfalls ginge es rapide bergab. Von den in den USA geborenen Katholiken verlässt jeder Dritte die Kirche Roms. Zugleich herrscht Mangel an Priester-Nachwuchs. Hinzu kommt eine massive Finanzkrise infolge der Skandale um sexuellen Missbrauch - sie kosteten die Kirche bis heute zwei Milliarden Dollar an Schmerzensgeld.Fingerspitzengefühl braucht Benedikt auch im Umgang mit der notorischen Unabhängigkeit der US-Gläubigen, die der Pontifex früher gern als "Relativismus" geißelte. Tatsächlich gehen die Katholiken in den USA in moralischen Fragen mehrheitlich ihren eigenen Weg. Sei es bei der Empfängnisverhütung, der Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften oder dem Umgang mit dem Thema Abtreibung. In politischen Dingen wiederum verweigern just die Konservativen unter den Katholiken dem Papst die Gefolgschaft. Großzügig ignorieren sie seine Ablehnung des Irak-Kriegs, das Nein zur Todesstrafe, die Forderungen in der Sozial- und Umweltpolitik. Diese progressive Agenda des theologisch konservativen Heiligen Vaters zeigt sich auch in der Gewichtung seines Besuchsprogramms. Tatsächlich fügte der Vatikan den Abstecher ins Weiße Haus erst hinzu, nachdem der Papst seinen Auftritt bei den Vereinten Nationen in New York vereinbart hatte. Die Begegnung mit Präsident Bush wird hinter den Kulissen lediglich als Höflichkeitsbesuch gehandelt - nicht etwa als ein Höhepunkt der Reise.Benedikt XVI. hat die Chance, in den USA positive Spuren zu hinterlassen, wenn ihm die Gratwanderung zwischen der reinen theologischen Lehre und dem pragmatischen Aufbruch in die globalisierte Welt gelingt. Jedenfalls bietet sich kein Ort dafür mehr an als die Vereinigten Staaten. Ein Land, in dem Glaube und Moderne so dicht beieinander liegen wie nirgendwo sonst.

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