Der neue Stolz der Katholiken

Rom · Papst Franziskus ist seit zwei Monaten im Amt, er hat viele Katholiken neu für ihren Glauben begeistert. Reformen in Grundfragen der Kirche zeichnen sich in seinem Pontifikat aber nicht ab.

Man sieht den Mann ganz in Weiß kaum, so weit ist er entfernt. Aber über die Lautsprecher kann man ihn ausgezeichnet verstehen. "Werdet ihr jeden Tag zum Heiligen Geist beten?", fragt seine weiche Stimme. "Ja!", hallt es ihm entgegen. Und jetzt ist es wie bei einem Popkonzert, wenn der Sänger beginnt, mit der Masse zu spielen. "Ich habe euch nicht verstanden. Werdet ihr jeden Tag zum Heiligen Geist beten?" Tausendfach ist nun das "Ja" zu hören. Dem Mann in Weiß ist es nun laut genug, die Generalaudienz von Papst Franziskus auf dem Petersplatz in Rom kann weitergehen.

Es wirkt, als sei es schon Jahrzehnte her, dass Benedikt XVI. bei ähnlichen Anlässen mit brüchiger Stimme ins Mikrofon hauchte. Die Kirche ist gut zwei Monate nach der Wahl von Jorge Mario Bergoglio noch dieselbe, aber die meisten Katholiken entdecken eine neue Begeisterung für ihre Glaubensgemeinschaft. "Es ist auf einmal alles ganz einfach", erzählt ein Kurienmitarbeiter, der sich für den alten Papst oft rechtfertigen musste. "Nun kann ich stolz sein."

Es ist wohl die bislang größte Leistung von Franziskus, dass er eine neue Atmosphäre geschaffen hat. Niemand spricht mehr vom "Vatileaks"-Skandal oder von Verrätern im Vatikan. Die Kirche und viele ihrer Freunde feiern auch zwei Monate nach dem Konklave noch eine Art Flitterwochen. Über 100 000 Gläubige kommen regelmäßig zu den Generalaudienzen, der Papst fährt auf seinem Papamobil manchmal sogar hinein bis in die Via della Conciliazione, um die dort Wartenden zu grüßen. Seit Johannes Paul II. ist so etwas nicht mehr geschehen. Im Vatikan wird gewitzelt, der Papst scharre bereits mit den Füßen, bevor er sich jeden Mittwoch endlich auf dem Papamobil eine halbe Stunde durch die Massen chauffieren lasse. "Das ist ein Papst für das Volk", sagt der Vatikan-Kenner Luigi Accattoli.

Doch das Bild vom Menschenfänger Bergoglio ist nur ein Ausschnitt der neuen Realität. Der im Vergleich zum Vorgänger neue Stil wirkte zunächst wie ein Kulturschock: die abgelaufenen Orthopädie-Schuhe statt der roten Slipper, die einfachen Messgewänder statt brokatbeladener Paramente, die Hinwendung zum Volk während der Messe. Aufmerksame Beobachter haben festgestellt, dass Franziskus inzwischen vorsichtiger ist beim Stilbruch und neulich beispielsweise einen prunkvolleren, goldenen Kreuzstab trug. Dieser Papst hat einen eigenen Stil, aber er beobachtet auch genau.

Dass er weiter im vatikanischen Gästehaus Santa Marta und nicht im Appartamento des Apostolischen Palastes wohnt, hat keineswegs banale Gründe. Franziskus schützt sich vor der Isolation, die Benedikt zum Verhängnis wurde. Im Gästehaus tauscht sich der ehemalige Erzbischof von Buenos Aires mit Prälaten aus, schafft sich die Päpsten sonst nicht vorbehaltene Möglichkeit zufälliger Begegnungen und macht sich einen unabhängigen Eindruck von der ihm bisher weitgehend fremden Welt in Rom. Es wirkt paradox, aber sein Auftreten hat auch die Kirchenverwaltung beruhigt. "Es gibt einige Traditionalisten, die sich an diesem neuen, wenig zeremoniellen Stil reiben, aber die große Mehrheit in der Kurie ist zufrieden", sagt Accattoli.

Einige, die die feinen theologischen Gedanken Joseph Ratzingers besonders schätzten, vermissen Gehalt in den Äußerungen Bergoglios. Sieht man einmal vom Thema Armut ab ("Wie sehr wünsche ich mir eine arme Kirche und eine Kirche für die Armen"), hat sich bei Franziskus noch keine Leitidee abgezeichnet, eine Frage, die aber für die meisten Gläubigen untergeordnete Bedeutung haben dürfte. Stattdessen fallen eine ausgeprägte Marienfrömmigkeit des Papstes auf sowie seine vor allem in den ersten Tagen deutliche Bezugnahme auf den Teufel.

Diese Elemente lassen sich wohl auf seine südamerikanische Herkunft zurückführen. Doch man sieht auch, welchen Bonus sich Franziskus mit seiner Nahbarkeit innerhalb kürzester Zeit geschaffen hat. Kaum auszudenken, was geschehen wäre, hätte Benedikt gesagt: "Wer nicht zu Gott betet, betet zum Teufel." Weil Franziskus nach dem Angelusgebet locker "Guten Appetit!" wünscht und alle zum Schmunzeln bringt, nimmt ihm kaum einer übel, wenn er zuweilen vom Teufel schwadroniert.

Es ist davon auszugehen, dass die Begeisterung der katholischen Welt über Franziskus bis zu ihrem Höhepunkt, dem Weltjugendtag Ende Juli in Rio, weiter anwachsen wird. Im Windschatten dieser Popularität kann Franziskus dann die ersten kniffligen Entscheidungen angehen. Wichtige Kurienämter müssen neu besetzt werden, im Oktober trifft sich erstmals die achtköpfige Gruppe der Kardinäle, die den Papst in Kirchenfragen und zur Problematik einer Kurienreform beraten soll. Der Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx gehört dazu, der sich im Vorkonklave dezidiert kritisch über die Kurie geäußert haben soll. Koordiniert wird die Gruppe vom Caritas-Chef Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga aus Honduras, einem Bergoglio-Intimus. Maradiagas Nominierung ist ein deutliches Zeichen dafür, auf wen Bergoglio hört und auf wen nicht. Maradiaga war über die Besetzung der Stelle des Caritas-Generalsekretärs mit dem umstrittenen und lange Zeit mächtigen Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone heftig in Streit geraten. Bertone gilt vielen als Ursache zahlreicher Übel im Vatikan, der charismatische Maradiaga steht hingegen für Aufbruch.

Auch in diesem Streit ging es um ein Problem, dass sich wie ein roter Faden durch viele Themenfelder zieht: Wie stark soll die Kirche von Rom aus gesteuert werden? Das Thema ist eines der Kernprobleme der Kirche, in der die international zusammengesetzte Beratungsgruppe bei Bergoglio vermutlich auf mehr Unabhängigkeit der Bischofskonferenzen und Ortskirchen drängen wird. "Wer aber glaubt, Bergoglio werde alles revolutionieren, der wird enttäuscht", sagt ein Insider.

In den Fragen, in denen sich zum Beispiel in Deutschland weite Teile der öffentlichen Meinung in großer Distanz zur Kirche bewegen, folgt Franziskus der katholischen Doktrin. Das gilt etwa in Sachen Abtreibung oder Homosexualität, aber auch für rein kirchliche Fragen wie den Zölibat. Dazu hat Franziskus entweder bereits Andeutungen gemacht oder sich früher überdeutlich geäußert. Accattoli sagt: "Man sieht es schon jetzt. Franziskus führt eine große Reform im Hinblick auf sein Amt durch, aber er wird nur kleine Reformen in der Kirche bewirken."

Zum Thema:

Auf einen BlickKanzlerin Angela Merkel wird heute (11 Uhr) zu einer Privataudienz bei Papst Franziskus im Vatikan erwartet. Nach dem Treffen folgt ein Gespräch mit dem vatikanischen Außenminister, Erzbischof Dominique Mamberti. Es ist die zweite Begegnung der Kanzlerin mit Franziskus. Sie hatte am 19. März an der Messe zu seiner Amtseinführung teilgenommen. kna

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