Berliner Schein-Aufklärung

Die Bundesregierung schickt die Öffentlichkeit bei der Aufarbeitung der US-Spähaffäre seit zwei Wochen in eine Endlosschleife der Schein-Aufklärung. Die Bürger werden regelrecht verschaukelt: von einem Innenminister, der es richtig findet, was die Amerikaner da machen und der daher in Washington gar nichts anderes entdecken wollte.

Vorher posaunte er hinaus: Nichts sei bewiesen, aber alles müsse aufgeklärt werden. Nachher hieß die Aussage: Nichts sei bewiesen, aber man habe der US-Regierung gesagt, dass alles aufgeklärt werden müsse. Und diese habe das zugesagt, weil man ja gut miteinander kooperiere . . . Das klingt nicht nur naiv, das ist es auch. Und wenn Fragen konkreter werden, heißt es: geheim.

Auch die liberale Justizministerin ist da nicht auszunehmen. Sie sieht alles zwar diametral anders als der Innen-Kollege, traut sich aber den großen Konflikt wegen des laufenden Wahlkampfes nicht zu. Und die Kanzlerin will erst recht keinen Streit in ihrer Koalition und sowieso keinen mit den Freunden aus Übersee. Natürlich könnte sie heute schon glasklar öffentlich sagen, ob der BND illegale Daten der NSA genutzt hat oder nicht - der Dienst untersteht ihr schließlich. Natürlich könnten die Sicherheitsbehörden heute schon feststellen, ob die Amerikaner nicht nur ihre eigenen Server abschöpfen, sondern auch Knotenpunkte in Deutschland und Europa. Man will aber nicht. Auch Merkel schauspielert bloß die Aufklärerin.

Die Regierung setzt offenbar darauf, dass viele Deutsche die Affäre nicht so ernst nehmen. Aber wären die Bürger auch so naiv, wenn erwiesen sein würde, was weiterhin unwidersprochen im Raum steht: dass auch die Inhalte ihrer privaten Mails mitgelesen werden? Und was ist, wenn sich herausstellt, dass die NSA unter dem Deckmantel der Terrorabwehr nebenbei auch Industriespionage betreibt, zulasten deutscher Arbeitsplätze? Oder dass sie auch europäische Regierungen ausforscht, und zwar direkt mit Wanzen?

Die Vorwürfe betreffen den Kern dessen, was unser Staatswesen ausmacht. Die unveräußerlichen Grundrechte, die alleinige Gesetzgebungsgewalt des Bundestages, die Souveränität des Gesamtstaates. Es gibt keinen rechtsfreien Raum für Sicherheitsfanatiker. Ihn zu tolerieren, hieße bei ausländischen Geheimdiensten einen Angriff auf die staatliche Integrität Deutschlands zu dulden.

Dass die Bundeskanzlerin ihren Amtseid breche, wenn sie diese ungeheuren Vorwürfe nicht ernsthaft aufkläre, dieser Satz von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ist Wahlkampf. Und trotzdem richtig. Der Eid lautet: "Ich schwöre, dass ich das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen werde." Es heißt verteidigen, nicht verheimlichen!

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort