Berlin und Paris am Scheideweg

Meinung · Sie respektieren uns, aber sie lieben uns nicht, auch wenn wir Deutsche uns das so sehr wünschen: 50 Jahre nach der Versöhnung Deutschlands und Frankreichs bleibt auf offizieller französischer Seite ein gewisses grundsätzliches Misstrauen, das in Krisenzeiten immer wieder zutage tritt

Sie respektieren uns, aber sie lieben uns nicht, auch wenn wir Deutsche uns das so sehr wünschen: 50 Jahre nach der Versöhnung Deutschlands und Frankreichs bleibt auf offizieller französischer Seite ein gewisses grundsätzliches Misstrauen, das in Krisenzeiten immer wieder zutage tritt. Das ist auch jetzt so, wo sich in der Eurokrise Kanzlerin Angela Merkel und Präsident François Hollande unversöhnlich gegenüberstehen. Man darf annehmen, dass die beiden am Sonntag in der Kathedrale von Reims bei den gemeinsamen Feierlichkeiten nicht Hand halten wie einst Helmut Kohl und François Mitterrand auf den Schlachtfeldern von Verdun.Und dennoch war das Verhältnis zwischen Deutschen und Franzosen jenseits der großen Politik wohl noch nie so gut wie derzeit. Das belegt eine Meinungsumfrage vom Januar dieses Jahres, die die deutsche Botschaft in Paris in Auftrag gegeben hat. Die wichtigste Botschaft lautet: Die Zeit der Germanophobie in Frankreich ist vorbei. 82 Prozent der Franzosen haben ein positives Bild von Deutschland, zehn Prozent sogar ein sehr gutes. Begriffe wie "Nazis" und "Hitler" assoziieren nur sechs Prozent der Befragten mit unserem Land. "Ernst", "diszipliniert" und "fleißig" sind die vorrangigen Begriffe, die Franzosen spontan mit Deutschland verbinden - personifiziert in Angela Merkel, die am zweithäufigsten genannt wird. Und auch der aktuelle Streit um die Rolle der Europäischen Zentralbank oder die Einführung von Euro-Bonds hat bei 64 Prozent der Franzosen das positive Deutschlandbild nicht gewandelt. Noch nicht, möchte man betonen, denn die Lösung der Eurokrise ist für beide Länder die größte Herausforderung der vergangenen 50 Jahre. Europa steht am Scheideweg. Hollande ist der große Gegenspieler Merkels, der die Südländer der Eurozone um sich schart, um gemeinsam Front gegen den Sparkurs der Kanzlerin zu machen. Von der Frage, ob Merkel und Hollande sich auf eine Lösung verständigen können, hängen die Zukunft des Euros und die Zukunft Europas ab. Sollten sich beide in dieser Frage "neutralisieren" und lähmen, droht der Eurozone wie der EU insgesamt der Zerfall. Die Vergangenheit zeigt jedoch, dass sich beide Länder auch in Krisen zusammenraufen können. Der Streit um das Saarland, das als Zankapfel der Verständigung lange Zeit im Weg stand, wurde letzten Endes friedlich beigelegt. Und auch mit der Wiedervereinigung konnte Paris sich schließlich arrangieren - allerdings nicht, ohne die Einführung des Euros durchzusetzen, um den mächtigen Nachbarn im Zaum zu halten. Der Euro war der Preis für die deutsche Einheit. Wie hoch er tatsächlich war, erfahren wir jetzt. Wenn Merkel und Hollande doch nur auch Hand in Hand gingen . . .

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