Leitartikel Deutschland steht vor einem Corona-Déjà-vu

Sollte dieser Herbst uns überraschen? Vielleicht mit der Erkenntnis, dass wir alle, dass Bund, Länder und Kommunen wieder nicht dazugelernt haben. Sommer 2020 – war da was? Doch: Reisen, Urlaub, Heimkehrer.

 Kommentarkopf, Foto: Uwe Steinert

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Das Virus reiste mit. Schon baut sich in diesem Sommer die nächste, die dann vierte Corona-Welle auf. Noch ruht die See. Aber die Corona-Meteorologen ahnen schon den Sturm, der da kommen könnte. Täglich steigt die Zahl der gemeldeten Infektionen wie auch die Inzidenzwerte, wenn auch vorerst noch mit geringen Zuwächsen. Langsam dämmert den politischen Entscheidern, dass auch dieses Jahr die Reiserückkehrer eine nächste Welle anschieben könnten, weil die hoch ansteckende Delta-Variante des Virus mit nach Deutschland einreist. Jetzt sollen ungeimpfte Rückkehrer sich testen lassen müssen, egal, woher sie kommen. Nur: Diese Erkenntnis hätte man schon vor Beginn der Ferien- und Urlaubszeit haben können. Damit wurden sechs Wochen Zeit vertan.

Wertvolle Zeit, die fehlen wird, wenn die Schulen bald wieder im Präsenzbetrieb öffnen sollen. Denn: Wie viele Corona-bedingt verlorenen, jedenfalls an Unterricht stark eingeschränkten Schuljahre will die Gesellschaft der jungen Generation noch zumuten? Die Generation Corona leidet schon an diesen zwei Jahren Pandemie – seelisch, materiell, gesellschaftlich und vermutlich auch bei den Bildungschancen. Muss ein drittes Jahr wirklich noch dazu gekommen – von total gestressten Eltern, die zu Hause Arbeit und Kinderbetreuung vereinbaren müssen, einmal abgesehen?

Vermutlich sind das Problem weniger die Kinder und Jugendliche, die größtenteils noch nicht geimpft werden dürfen, sondern viele impfskeptische Erwachsene, die auch in diesem Sommer den Schuss nicht gehört haben. Niedrige, zunächst sogar einstellige Inzidenzwerte – ist doch alles prima. Doch die Gefahr dieser Pandemie ist noch lange nicht gebannt. Wir alle werden mit diesem Virus – und seinen Mutanten – leben müssen. Eine Quote von derzeit rund 50 Prozent bei den Doppeltgeimpften in Deutschland bedeutet noch lange keine Herdenimmunität. Das ist zu wenig und wird uns aller Voraussicht nach einen nächsten Herbst und Winter im (Teil-)Lockdown bescheren. Selbstverständlich erst nach der Bundestagswahl.

Dabei wäre dieses nationale Corona-Déjà-vu, das Deutschland gerade erlebt, vermeidbar. Das Impftempo hat sich verlangsamt, der Sommer verführt zu Leichtsinn, die Corona-Abstände werden nicht mehr gehalten, erste größere Veranstaltungen sind wieder zugelassen, und für Reiserückkehrer soll es nun, zum Ende der Ferien, eine Test-Pflicht geben. Warum erst jetzt? Das kommt spät. Vor allem aber muss die Impfmüdigkeit überwunden werden. Eine allgemeine Impfpflicht wird es in Deutschland nicht geben. Aber Impfen heißt Verantwortung – für die Schwächeren, für die Alten, für die Kranken, für die Kollegen. Das ist nicht zu viel verlangt. Wir alle haben es in der Hand. Doch aller Voraussicht stehen wir erneut vor keinem guten Herbst.

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