Leitartikel Die Pläne bedeuten eine Neuorientierung des Lebens

Dieser Fahrplan in Europas grüne Zukunft ist ehrgeizig, keine Frage. Da werden knappe Fristen und enge Spielräume gesetzt. Die Europäische Kommission hat ein umfassendes Zahlenwerk vorgelegt. Beeindruckend bleibt es nicht.

 Kommentarkopf, Fotos: Juha Roininen

Kommentarkopf, Fotos: Juha Roininen

Foto: SZ/Lorenz, Robby

Zu viele Positionen sind wackelig oder stehen noch gar nicht fest. In weiten Teilen beschränkt sich die Behörde wieder einmal auf straffe Vorgaben, was richtig ist, weil man lange genug auf die Eigeninitiative der Wirtschaft gehofft hat. Aber die Kommission bleibt zu kleinteilig, um dem Einfallsreichtum der Unternehmen und der Kreativität der Forscher und Ingenieure Spielraum zu lassen. Die Kritiker der Kommission haben recht, wenn sie sagen, zu wenig über die Auswirkungen der Transformation in eine klimaneutrale Zukunft für den Arbeitsmarkt zu sagen. Schon jetzt müssen Arbeitnehmer beispielsweise in der Autoindustrie erleben, dass ihre Jobs wegfallen, weil für die Herstellung von Elektro-Antrieben weniger Leute gebraucht werden. Die grüne Wende Europas wird weitere Arbeitsplätze kosten. Die Frage, welche Konsequenzen dies für die Arbeits- und Beschäftigungsstruktur hat, ist keine Nebensächlichkeit. Diese Situation wird noch dadurch verschärft, dass die Betriebe hohe Investitionen benötigen, um künftig klimaneutral produzieren zu können und damit gegenüber der Konkurrenz auf dem Weltmarkt Nachteile haben. Das weiß man in Brüssel, hat dazu auch mit der Ausgleichssteuer ein neues Instrument erfunden, von dem aber bisher noch niemand weiß, ob es die Welthandelsorganisation akzeptiert. Was ist, wenn nicht? Dann stehen Europas Unternehmen im Regen, obwohl sie zwar grün produzieren, aber gegen die Billigkonkurrenz aus anderen Teilen der Welt hoffnungslos ins Hintertreffen geraten sind. Denn die Hoffnung, dass Europas Aufbruch global Kreise zieht und alle Industrie- und Schwellenstaaten die gleichen Vorgaben übernehmen, erscheint zumindest derzeit illusionär.

Man mag sich damit trösten, dass die Vorschläge noch Spielraum enthalten und Kompromisse auch schon eingepreist sind. Ob man das Aus für Benzin- und Diesel-Motoren nun für 2035 festschreibt oder erst für 2040, macht zwar klimapolitisch einen erheblichen Unterschied, dürfte aber dennoch als Mittelweg akzeptabel erscheinen, wenn dafür andere Kernforderungen durchgesetzt werden können. Deshalb könnte die weitaus wichtigere Frage lauten: Schafft es dieses Programm, Verbrauchern und Konzernen klarzumachen, dass es zu einem klimaneutralen Europa keine Alternative gibt? Die Zweifel sind erheblich. Zu groß ist die Gefahr, dass die Bürger vor allem steigende Preise sehen. Das beginnt bei den Heizkosten, reicht über die Kraftstoffe und hört bei den Tickets für Flüge nicht auf. Was Brüssel vorgelegt hat, geht weit über einen Umbau der Wirtschaft hinaus. Es kommt einer Neuorientierung unseres Lebens gleich, weil alles der Frage nach dem ökologischen Fußabdruck unterworfen wird. Das ist nicht falsch, aber es bleibt ein Schritt, der vielen bis heute nicht klar war. Mit diesem Fahrplan werden wir viele der bisherigen Verhaltensweisen umstellen müssen.

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