Die Illusion von der Macht der Bilder und Worte

Merzig. Es schien, als ob der 50. Todestag des Merziger Schriftsteller Gustav Regler überraschend gekommen wäre

 Gitarrist Héctor Zamora spielte mexikanische Musik. Foto: Rauch

Gitarrist Héctor Zamora spielte mexikanische Musik. Foto: Rauch

Merzig. Es schien, als ob der 50. Todestag des Merziger Schriftsteller Gustav Regler überraschend gekommen wäre. Zu klein war der Veranstaltungsraum des Kulturzentrums Villa Fuchs für den Andrang zur von der Familie des Schriftstellers einberufenen Gedenkstunde, improvisiert die Dekoration aus Folkloreblusen und Mexiko-Fotografien, die mit Tesafilm auf die im Raum hängenden Bilder geklebt wurden. In Fenstern flackernde Grablichter und ein Sombrero voller Erdnussflips erinnerten an den Totentag in Mexiko, dort, wohin das Exil Gustav Regler verschlug. Mit den Toten dargebotenen Speisen wird der Tag traditionell gefeiert.

Kein Trauertag, sondern "ein Fest unter Freunden" sollte daher auch der Todestag Reglers sein. Die ihm gebotene Gabe waren die von Schauspieler Hans-Georg Körbel gesprochenen Regler-Worte und die Musik Mexikos, gespielt von dem Gitarristen Héctor Zamora. Dafür hatte Regler-Nichte und Nachlassverwalterin Annemay Regler-Repplinger Textstellen ausgewählt, die Gustav Reglers Leben und Schreiben anhand der Themen Mexiko, Verlust, Autobiographisches und Tod fassten.

Beziehungsreich eröffnete sein "Mexikanischer Totentag" die Feier und offenbarte die Quelle, aus der sich mexikanischer Totenkult und sein Schreiben speisen: Die Illusion, dass Bilder und Worte Macht haben, die Wirklichkeit zu verändern. Wie zum Beweis vermochte Regler den Verlust von Sohn und Gefährtin in seinen Gedichten im Wort aufzuheben. Während der Essay "Regler über jenen Regler" von 1946 das Scheitern der Illusion eingestand, mit Bildern und Worten die Welt zu verändern. Und er ahnte doch auch, dass sich die gegenüberstehenden politischen Systeme nur durch das geerdete Wort verständigen können.

"Hier ist unser Gustav" hatte die Tante bemerkt, als die Urne auf dem Wohnzimmertisch in Merzig stand, erinnert sich seine Nichte. Ein Toter war unter den Lebenden. Traurig und ein wenig von der Freude bestimmt, wieder zusammen zu sein, so schilderte sie diesen Moment, um zum öffentlichen Regler-Bild überzublenden: "Ein Kämpfer und ein Suchender der Wahrheit", ehrte ihn die New Yorker Zeitung "Aufbau", erinnerte sie. Das Schlusswort hatte Kulturminister Ulrich Commerçon (SPD), Regler-Leser seit Jugendzeit: Die Suche nach der Wahrheit und Frieden habe ihn zu dessen Büchern geführt. So viel zur Illusion. sg

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