Dauerhaft befristet

Köln. Es sind Momente, an die sich Bianca Kücük (33) vermutlich bis ans Ende ihres Lebens erinnern wird. Während sie in einem Kölner Café sitzt, beschäftigen sich die Richter mit ihrer Lebensgeschichte. Genauer: mit ihrem früheren Arbeitsverhältnis als Justizangestellte am Amtsgericht Köln

Köln. Es sind Momente, an die sich Bianca Kücük (33) vermutlich bis ans Ende ihres Lebens erinnern wird. Während sie in einem Kölner Café sitzt, beschäftigen sich die Richter mit ihrer Lebensgeschichte. Genauer: mit ihrem früheren Arbeitsverhältnis als Justizangestellte am Amtsgericht Köln. Eben das aber ist im Wesentlichen ihre Lebensgeschichte: "Ich kannte nichts anderes als Realschule und Amtsgericht."Direkt von der Realschule wechselte sie mit 16 Jahren zum Amtsgericht Köln und blieb dort 13 Jahre, zwei davon zunächst als Auszubildende. Unbefristet angestellt war sie nie. Von 1996 bis 2007 wurde sie mit insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen beschäftigt. Dann war Schluss. Und dagegen klagte sie: zuerst vor dem Arbeitsgericht Köln, dann vor dem Landesarbeitsgericht und schließlich vor dem Bundesarbeitsgericht. Das verwies den Fall nach Luxemburg.

Nach außen hin scheint Kücük ruhig an diesem Morgen. In ihrem Innern sieht's anders aus: "Ich glaube, so nervös war ich noch nie in meinem Leben." Sie kann noch immer sehr genau schildern, wie das war, damals, am 3. Dezember 2007, als ihr gesagt wurde, dass ihr Arbeitsvertrag dieses Mal nicht mehr verlängert werden würde. "Erst mal hab' ich gar nichts gefühlt. Im Auto bin ich dann in Tränen ausgebrochen."

Kücük hat lange am Gericht gearbeitet. All die Jahre war sie immer nur vertretungsweise für fehlende Mitarbeiter eingesetzt worden, aber sie selbst empfand es anders: "Ich hatte keine Springerfunktion. Ich bin in der ganzen Zeit einmal von der linken auf die rechte Seite vom Flur gewechselt, aber im übrigen war es immer derselbe Schreibtisch."

Dann ist er da, der Moment. Ein Journalist hat die erste Pressemeldung von dem Urteil auf sein Handy bekommen und liest vor: "Die mehrfache Verlängerung von befristeten Arbeitsverträgen widerspricht nicht dem EU-Recht." Einen Moment bleibt sie still. Dann sagt sie: "Enttäuschend ist es schon." In Luxemburg präzisieren die Richter, dass für eine solche Befristung "sachliche Gründe" vorliegen müssen. Dazu gehöre beispielsweise, dass der Arbeitgeber einen vorübergehenden oder ständigen Bedarf an Vertretungskräften habe. Allerdings führt das Gericht auch aus, dass es im Einzelfall eine Missbrauchskontrolle geben solle, bei der Zahl und Gesamtdauer der einzelnen befristeten Verträge berücksichtigt sein müssten.

Kücük wählt die Nummer ihres Anwalts. "Er sagt, wir sind auf der Siegerstraße und ich könnte mich freuen. Es geht jetzt zum Bundesarbeitsgericht zurück, und er ist sich ziemlich sicher, dass wir am Ende gewinnen", sagt sie nach dem Gespräch. Sie steht auf. Dann könne sie sich ja doch noch auf die Karnevalssitzung am Abend freuen, sagt sie.

Wie optimistisch sie wirklich noch ist, weiß sie in diesem Moment vermutlich selbst nicht. Dafür war das Wechselbad der Gefühle zu stark. Aber wie auch immer es kommen wird: "Ich bin stolz auf mich, dass ich so weit gegangen bin."

Meinung

Freibrief für Arbeitgeber

Von SZ-RedakteurJoachim Wollschläger

Das Urteil der Luxemburger Richter darf durchaus als Freibrief für Arbeitgeber durchgehen, mit Befristungen in Zukunft etwas großzügiger umzugehen. Denn "sachliche Gründe" zu finden, dürfte nicht zu schwer fallen: hier ein Krankheitsfall, da eine Urlaubsvertretung, dort ein Mutterschaftsurlaub. Schnell kommen da mehrere Sachgründe zusammen. Und so droht, was bisher eigentlich nur als Ausnahme gedacht war, zur Regel zu werden: eine immer wieder neue Befristung.

Immerhin müssen nun im Streitfall alle befristeten Arbeitsverhältnisse auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden - und nicht nur wie bisher das letzte. Ob diese Missbrauchskontrolle aber ein scharfes Schwert sein wird, muss sich erst zeigen.

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