80 Jahre und fernab alles Gängigen

Nach 50 Jahren Winkelgast-Dasein war's ihm genug. Acht Jahre lang, von 1984 bis 1992, blieb der Dichter stumm.

Johannes Kühn stellte sie ein, die "Geist und Gemüt zermürbende Fließbandarbeit im Kopf", wie das sein Kollege und Freund Ludwig Harig beschrieb. Zusammen mit Kühn bildet der Sulzbacher Autor das saarländische Zweiergestirn am deutschen Literaturhimmel. Wobei der in Hasborn (Tholey) geborene Johannes Kühn immer schon wunderlich war, er, der früh Gemütskranke und früh in die Rente Geschickte. Ein unermüdlicher, naturhungriger Wanderer im Schaumbergerland, der sich selbst als "Wiesenpapst", "Schattenmann" und "Elendsesel" in der Dorfgemeinschaft beschrieb. Doch 1984 hörte Kühn nicht nur ganz mit dem täglichen Gelegenheitsdichten am Gasthaustisch im Café Huth in Hasborn auf, sondern er verweigerte generell die Kommunikation. In diese Krisenphase fiel nicht nur die Explosion des späten unvermuteten Ruhmes, die 1989 die Veröffentlichung des Lyrikbandes "Ich Winkelgast" auslöste. Sondern der Dichter wechselte auch das Fach, er begann zu zeichnen. Auf dünnem DIN-A-4-Büropapier, mit grellbunten Filzstiften: Phantasiegetier und Fabelwesen, Märchen- und Todes-Figuren, geformt aus rhythmischen Strichen. Ekstatisch war dieses Tun, wie seine Freunde und Herausgeber Irmgard und Benno Rech beobachteten. Tausende von Zeichnungen entstanden. "Es ist vielleicht eine große Erholung, und das verklungene und ausgelöschte Temperament kann sich regenerieren", meinte Kühn selbst in einem Interview zu dieser Phase. Es war offensichtlich ein "gütiges Feuer", das ihn damals vorantrieb. Längst ist er, der am Montag 80 Jahre alt wird, zur Lyrik zurückgekehrt, zur selbst auferlegten Pflichtzahl von drei Gedichten pro Tag.

Gleichwohl hat Kühns therapeutisches Zweitwerk seit rund zehn Jahren ein Eigenleben entwickelt, dank Francis Berrar, selbst anerkannter Künstler und Vorsitzender des Dillinger Kunstvereins. Von Berrar wurden bereits zwei kleinere Kühn-Ausstellungen realisiert, er ist darüber zum Kühn-Vertrauten geworden. Zum 80. kuratiert er nun was angemessen Großes, gleich an zwei Orten, in Dillingen und Saarlouis. Denn Berrar ist fest davon überzeugt: "Es ist die Überfülle, die Flut an Variationen, die die besondere Qualität Kühns ausmacht." Auch meint Berrar, dass der Zeichner Kühn dem Literaten in nichts nachsteht. Hoppla? Harig sieht das beispielsweise gänzlich anders. In einer Rede "Johannes Kühn als Maler" meinte er 1994, die Bilder seien keine "gleichgewichtigen Ambivalente" von Kühns dichterischem Schaffen. Harig sieht sie als "Ausreden, Ausflüchte, als Ausweglosigkeiten eines Dichters, der für Augenblicke seine Sprache verloren hat." Tatsächlich scheint der Reiz von Kühns zeichnerischem Kosmos im Vergleich mit der originellen, eigenständigen Wirkmacht der Lyrik, deren Ursprünglichkeit und deren einprägsame, packende Bildsprache Autorenkollegen wie Peter Rühmkorf oder Peter Handke zu Hymnen Anlass gab, eher geborgt. Man fühlt sich an Picassos Jacqueline-Porträts erinnert oder an Dubuffets "L'Art Brut". Oder denkt an Kinderzeichnungen. All dies mögen Inspirationsquellen sein, meint Berrar. Doch er lobt die "authentische Kraft", die "Unbeirrbarkeit" und meint: "Kühns Kunst ist keiner Mode unterworfen, sie besitzt ihre eigene Sprache, die man nicht zuordnen kann, das macht das Besondere aus." Dies habe auch der ehemalige Vorstand der Stiftung Kulturbesitz, Ralph Melcher, erkannt. Berrar berichtet, Melcher habe Kühn in der Modernen Galerie zeigen wollen.

Nun stemmt Berrar das Projekt allein, realisiert nicht nur eine Überblicksschau. Vielmehr möchte Berrar Kühn seinen Rang in der zeitgenössischen Szene zuweisen. Deshalb stellt Berrar ihm im Alten Dillinger Schloss andere Künstler zur Seite, die längst den Kunstmarkt eroberten: Jonathan Meese, Miriam Cahn, Max Weinberg. Ein mutiger Ansatz. "Diese Künstler fallen aus der Zeit und aus allen Stilschubladen des Kunstbetriebs", sagt Berrar. Was ihn auch an Kühn fasziniert und wofür er sensibilisieren will.

Kühn selbst, erzählt Berrar, achte seine Zeichnungen eher gering. "Ich glaube nicht, dass sie den Wert haben, dass man sich ihnen ewig widmet, dass man sie auf ewig behalten möchte", sagte er 2009. Deshalb habe Kühn auch auf das "Ewigkeitsmittel" Ölfarbe verzichtet. Wobei Berrar dafür noch einen anderen Grund kennt: "Er will die Linie, Tropfen mag er nicht, mit Unwägbarkeit kann er nicht umgehen." Das erlebte Berrar, als ihm Kühn öfter in seinem Atelier Gesellschaft leistete. Tempi passati. Der Dichter malt nicht mehr. Seine Zeichnungen sind Dokumente einer Gesundung. Kühn richtete sich zwischen 1984 und 1992 ein Kopflabor ein, lebte "trostreich im Farbenrausch der Kindheitswesen", fand durch die Bewegung seiner Hand zur Befriedung. "Das Zeichnen befähigte ihn, glücklicher zu sein, als wir es vermögen", schreibt Berrar im Katalog zur aktuellen Ausstellung. Also erwartet uns die Begegnung mit einem Glückskind.

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BiografieJohannes Kühn (geb. 1934) wuchs mit acht Geschwistern in einer Bergarbeiterfamilie in Hasborn (Schaumberger Land) auf. Bis heute lebt er dort, alleinstehend, im Haus seiner Schwester. Kühn ging bis 1953 auf das Gymnasium am Missionshaus St. Wendel, das er aufgrund einer langen Erkrankung ohne Abitur verließ. Kühn war anschließend Germanistik-Gasthörer in Saarbrücken und Freiburg, besuchte auch die Schauspielschule in Saarbrücken. Anschließend, zwischen 1963 und 1973, verdiente er sein Geld als Hilfsarbeiter in der Tiefbaufirma seines Bruders, schrieb nebenher Dramen, Gedichte, Märchen. Seit 1973 bezieht er Rente. Zwischen 1984 und 1992 stellte er die literarische Arbeit ein und zeichnete stattdessen. Der Kühn seit Schultagen verbundene Benno Rech kümmerte sich zusammen mit seiner Frau Irmgard um Publikations-Möglichkeiten. Auch Ludwig Harig wurde Kühns Fürsprecher. Schließlich wurde der renommierte Hanser Verlag aufmerksam. 1988 bekam Kühn den Kunstpreis des Saarlandes, ein Jahr später gelang ihm mit dem Lyrikband "Ich Winkelgast" ein spektakulärer Durchbruch. Es folgten wichtige Preise, etwa der Bienek-, der Hermann-Lenz- und der Hölderlin-Preis. Kühns letzte Veröffentlichungen sind "Ganz ungetröstet bin ich nicht" (2007, Hanser) und "Zu Ende ist die Schicht" (Gollenstein, 2013).Kühns zeichnerisches Werk wurde bisher kaum beachtet. Es gab kleinere Ausstellungen in St. Wendel und Warmbronn, 1995 in der Galerie Kulas und 2009 im Kunstverein Dillingen. ce

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Auf einen BlickDie Ausstellungen zum 80. Geburtstag stehen unter der Schirmherrschaft der Ministerpräsidentin des Saarlandes Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie werden am selben Tag eröffnet: 9. 2., 11 Uhr, im Alten Schloss in Dillingen. "Und es scheint, als sei im Kopf ein gütiges Feuer angezündet. Eine Hommage an Johannes Kühn als Zeichner: Kunstverein Dillingen im Alten Schloss (Do, Fr, Sa, So 14-17 Uhr). "Dreh dich im Kopf, meine Sonne, Hoffnung". Zeichnungen von Johannes Kühn 1984-1992: im Atelier Museum Haus Ludwig (Di-Fr 10-13 und 14-17 Uhr; Sa, So 14-17 Uhr). ce

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