Was bin ich?

Saarbrücken · Inspiriert vom gleichnamigen Film von 1982 hat Autor und Regisseur Klaus Gehre seinen „Blade Runner“ am Freitag in die Saarbrücker Sparte 4 gebracht. Ein berührender, zugleich hoch komischer Theaterabend.

Blasenschwäche? Oder Premieren-Nervosität? Regisseur und Autor Klaus Gehre huscht Sekunden vor dem Beginn seines "Blade Runner" in Richtung Toilette - in anderen Spielstätten nicht der Rede wert, in der Sparte 4 durch ihre indiskrete Innenarchitektur ein nahezu öffentlicher Vorgang. Das gehört zwar nicht zu Gehres Inszenierung, hätte aber gepasst, nutzt dieser enorm unterhaltsame Theaterabend doch fast jede Ecke des Ortes für das, was Gehre einen "Live-Film" nennt.

Frei nach Motiven von Ridley Scotts Film "Blade Runner" von 1982 und der Romanvorlage von Philip K. Dick erzählt Gehre von einer Zukunftswelt, in der sich die Menschheit "Replikanten" geschaffen hat - Wesen in Menschengestalt, aus Fleisch und Blut, mit künstlichen Erinnerungen und einem drohenden Verfallsdatum, dem Tod. Als einige Replikanten gegen ihren Erfinder rebellieren, soll ein Ermittler namens Deckard, ein "Blade Runner", die Replikanten töten. Äußerlich eine Detektivgeschichte ist das, innerlich ein Gedankenspiel darüber, was den Menschen letztlich ausmacht. Ist er nicht, ebenso wie die Replikanten, eine biologische Maschine? Da ist es wohl kein Zufall, dass Deckards Name wie Decartes klingt und auch der Satz "Ich denke, also bin ich" fällt.

Neben diesem Thema geht es Gehre, der auch die wunderliche Ausstattung zusammengeschustert hat, um ein Spiel mit Bildern, ob nun aus der Kino-Inspiration, aus alten Film-noir-Klassikern oder insgesamt aus dem kollektiven filmischen Gedächtnis. Eine der vier Kameras etwa filmt Schauspieler Andreas Anke (Deckard) im Gang der Sparte 4 in Nahaufnahme vor drei silbernen Holzplatten, Anke lässt den Körper zittern - als Projektion auf der Bühne wirkt es so, als ruckele ihn ein Aufzug himmelwärts. Das Stück ist voll von solchen Momenten, wenn in einer Ecke des Raums etwas gespielt wird, was als Projektion dann ganz anders wirkt. Das zeitigt viele komische Effekte (und lässt die Zuschauer die Köpfe hin und her wenden wie bei einem Tennisspiel) und bezieht sich gleichzeitig auf das Stück, in dem es auch um die Gültigkeit von Erinnerungen geht. Wie verlässlich sind die, wenn sie sich in der täglichen Flut der Bilder ständig verändern?

Das Stück schafft sich dabei (unterstützt von Michael Lohmanns Musik und Klangeffekten) konsequent seine eigene Welt; war die des Films millionenschwer getrickst, setzt Gehre ironisch auf rudimentärste Mittel: Eine angestrahlte Malerrolle mit Silberfolie reflektiert ein urbanes Lichtermeer auf die Bühne, Modellautos mit "Brummbrumm"-Unterstützung der Darsteller ziehen ihre Bahnen durch Häuserschluchten aus Pappe. Das ist durchaus komisch (im Gegensatz zur dunklen Melancholie des Films), aber nicht albern; das Stück wechselt abrupt, aber ohne Mühe zwischen komischen Passagen (Barbie- und Ken-Puppen als eine Art griechischer Chor mit Beach-Boys-Einlage) und sehr berührenden: ob nun im Dialog zwischen Deckard und der Frau Rachel (Nina Schopka), die erst selbst nicht weiß, dass sie eine Replikantin ist; oder zwischen den Replikanten Roy (Marcel Bausch) und Pris (Gabriela Krestan), die ihren Erfinder (Robert Prinzler) um "mehr Leben!" anflehen. Der begreift das Leiden seiner Geschöpfe nicht ganz - sie besitzen mehr Menschlichkeit als er.

Das Ganze ist natürlich ein Fest für die Darsteller, die zum Teil mehrere Rollen spielen und nebenher als Bühnentechniker arbeiten, mit den Kameras hantieren, mit Spielzeugautos, und technische Geräusche imitieren, ob Aufzugtüren oder zoomende Kameras. Auch so heben sich die Grenzen auf zwischen dem Technischen und dem Menschlichen. Wer will da sagen, wo das eine endet und das andere beginnt?

Termine: 6., 11., 15., 21., 24. April; 2., 3. 16., 17. Mai; 3., 12., 13., 16. Juni. www.sparte4.de

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