Vom vierten Stern in Liga vier

Eine Samba habe ich nicht getanzt. Weder auf der Couch, noch auf dem St.

Johanner Markt. Zu geschlaucht war ich nach dem Finale. Es hat wider Erwarten ziemlich viel Energie bei mir abgezogen. Wie es kam? Seit mehr als einem Jahrzehnt schreibe ich über die deutsche Nationalmannschaft. Oft habe ich mich dabei über mich selbst gewundert, wie emotionslos ich die Spiele verfolgen kann. Deutschlandtrikots, Fanmeilen, Schlaaaand-Gedöns, Heulen, Emotions-Achterbahnen. Nicht mein Ding, ganz weit weg. In stillen Momenten fand ich das traurig. Schließlich wird man ja Fußball-Journalist, weil der Sport eine Herzensangelegenheit ist. Oder weil man selbst kein Profi werden konnte, da zu schlecht. Bei mir trifft beides zu. Und so ist es schon übel zu spüren, dass der Job so nach und nach die Emotionen verkümmern lässt. Aus Sicht der Texte ist das Emotionslose natürlich eine Steigleiter für die Objektivität. Was ja gut ist. Und so hatte ich mich also mit meinem kalten Fußballverhältnis professionell arrangiert - bis Sonntag.

Der schmeckte nach Kindheit. Ich hätte sogar fast geweint, als ich Klose weinen sah. Aber nur fast. Ich schaltete lieber das TV aus und spazierte durch die Saarbrücker Innenstadt. Vorbei an Autokorsos, mit vielen Karossen aus Frankreich. Auf einem Pick-up tanzte ein Mädel auf der Ladefläche zu Hardcore-Techno aus Holland. Sie hatte nur eine Deutschlandfahne um. Vorbei am evangelischen Krankenhaus, vor dem Rollstuhlfahrer saßen. Einer mit einem Gipsbein in Deutschlandfarben. Auf dem Markt angekommen, sah ich emotionsschwangere Menschen, die mindestens vier Caipirinhas auf den vierten Stern getrunken hatten. Kollege Marcus Kalmes tanzte am Markt bis 6 Uhr, Kollege Stefan Regel röchelte am Tag danach ebenso von einem feuchten Marktbesuch. Ich ging nach einer Stunde heim, beschloss noch, mir kein Trikot mit dem vierten Stern zu kaufen. Schließlich bin ich Saarländer - und wir haben erst drei. 1954 waren wir ja noch keine Deutschen.

Und nun? Nun ist auch die WM-Kolumne 2014 beendet. Vom vierten Stern in die vierte Liga führt nun unser Weg. Dort dürften wir auch keine Probleme mit Emotions-Gedusel haben. Da bin ich mir (fast) sicher.

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