Ein einmaliges Erlebnis?

Baku · Die ersten Europaspiele in Aserbaidschan stehen unter keinem guten Stern. Das Gastgeberland wird von einem totalitären Regime geführt, der sportliche Wert ist begrenzt, und die Zukunft steht in den Sternen.

Europaspiele? Nein, danke. Kurz vor der Premiere der umstrittenen Veranstaltung in Baku , die heute beginnt und bis 28. Juni dauert, ziehen die als nächster Gastgeber auserkorenen Niederlande die Reißleine - und stellen damit die Zukunft der Veranstaltung mehr als infrage. "Es ist unverantwortbar, 57,5 Millionen Euro dafür auszugeben", hieß es in einer Erklärung zur Absage für 2019. Die Niederlande machten sich also noch nicht einmal die Mühe, abzuwarten, wie die Spiele in Aserbaidschan verlaufen. Es könnte der letzte Sargnagel für das Stiefkind der europäischen Sportszene gewesen sein.

Umstritten, unglücklich gelegen und als sündhaft teuer abgestempelt waren die Europaspiele zuvor schon gewesen. Mit hochmodernen Sportstätten und einem Athletendorf von Olympia-Format möchte das von einem totalitären Regime geführte Gastgeberland Aserbaidschan sein Image aufpolieren. Auch hinter dem sportlichen Wert steht ein großes Fragezeichen.

"Es gibt schon lange die Afrikaspiele oder die Panamerikanischen Spiele. Deswegen kam die Idee auf, ein solches Format auch für Europa auszuprobieren", sagt Michael Vesper , Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und erklärt das Motiv für den Feldversuch, eine Art "Olympische Spiele Europas" zu etablieren. Baku , der einzige Bewerber, erhielt 2012 den Zuschlag durch die Europäischen Olympischen Komitees. Seitdem segelt das Event bei vielen Sportfans unter dem Radar. "Die Europaspiele sind ein neues Format. Da ist es normal, dass sie in der Öffentlichkeit noch keine große Rolle spielen", sagt Vesper. Medienpartner Sport1 wird dennoch 100 Stunden live übertragen, über die Resonanz lässt sich vor dem Start nur mutmaßen.

Von Menschenrechts-Organisationen wird Aserbaidschan dagegen schon länger beobachtet: Staatspräsident Ilham Alijew gilt als Autokrat, der Kritiker rigoros wegsperrt. "Die Menschenrechtslage ist extrem schlecht. Und sie hat sich in den letzten Monaten sogar noch massiv verschlimmert", sagt Wenzel Michalski von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch .

Mindestens 100 politische Gefangene soll es derzeit in der früheren Sowjetrepublik geben. Von Entspannung kann trotz der "erhöhten Aufmerksamkeit für die Zustände", auf die Vesper verweist, offenbar keine Rede sein: Die Organisation für Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa (OSZE ) meldete am Montag, dazu aufgefordert worden zu sein, ihre Niederlassung in Baku bis Anfang Juli zu räumen.

Zwangsläufig stellt sich die Frage, warum ausgerechnet Aserbaidschan die Gastgeberrolle bei der Premiere zugefallen ist. Vesper, der kurz nach der Vergabe in die hierfür zuständige EOC-Exekutivkomitee aufrückte, mag sich diese Frage nicht stellen: "Hätte, wäre und könnte zu diskutieren, ist müßig. Wir werden die Spiele in Baku auswerten und auch die politischen Fragen aufmerksam beobachten."

Medienberichten zufolge übernimmt Staatspräsident Alijew sämtliche Kosten der Teilnehmer. Der DOSB bestreitet dies: Die Entsendungskosten lägen "bei einer Million Euro", der Steuerzahler übernimmt davon mindestens die Hälfte. Probleme damit, Flugtickets und weitere Kosten von Alijew bezahlen zu lassen, hat Vesper nicht: "Es ist Usus, dass diese Kosten vom Gastgeberland übernommen werden. Warum sollte das hier anders sein als in Peking?" Dieter Domke: Er ist neben Marc Zwiebler einer der Badminton-Einzelspezialisten des deutschen Mannschaftsmeisters des 1. BC Bischmisheim . Mit seinen 28 Jahren ist er der erfahrenste Athlet unter den fünf saarländischen Startern in Baku . Zahlreiche Teilnahmen bei internationalen Turnieren sowie Individual-, Europa- und Weltmeisterschaften schmücken seinen Werdegang. Schon 2008 wurde er erstmals für die Mannschafts-WM nominiert. Nach der EM-Silbermedaille (2012) für das deutsche Team gewann er ein Jahr später (2013) bei der Mixed-Team-EM die Goldmedaille mit der Nationalmannschaft.

Henning Mühlleitner: Er ist Schüler am Sportzweig des Gymnasiums am Rotenbühl in Saarbrücken und einer von zwei saarländischen Schwimmern in Aserbaidschan. Mühlleitner startet zwar noch für den SV Schwäbisch Gmünd, trainiert aber schon seit zwei Jahren an der Landessportschule in Saarbrücken. Der 17-Jährige verpasste bei den deutschen Meisterschaften in diesem Jahr in Berlin die Bronzemedaille über 800 Meter Freistil nur knapp. Auch für ihn ist es nicht der erste internationale Auftritt. Der C-Kader-Athlet wurde 2014 bei den Jugend-Europameisterschaften in den Niederlanden Fünfter über 1500 Meter Freistil .

Nico Perner: Auch er trainiert an der Landessportschule in Saarbrücken. Der 16-Jährige wurde aufgrund seiner starken Leistungen bei der Kurzbahn-DM im November des vergangenen Jahres für die Jugendnationalmannschaft nominiert. Bei den deutschen Meisterschaften in Berlin präsentierte sich der Brustspezialist in ähnlich starker Verfassung. Erst in der vergangenen Woche untermauerte er seine gute Form. Bei den deutschen Jahrgangsmeisterschaften gewann Perner zwei Mal Gold: über 50 und 200 Meter Brust.

Jonas Breinlinger: Er ist bereits im Perspektiv-Team Olympia der Sportstiftung Saar. Der Triathlet, der über die olympische Distanz startet (1500 Meter Schwimmen, 40 Kilometer Radfahren und 10 Kilometer Laufen), ist spätestens seit der Junioren-WM 2013 bekannt. Nicht unbedingt wegen des elften Platzes, sondern aufgrund seiner Aufholjagd nach einem Sturz in der Wechselzone vor der Laufstrecke. Der gebürtige Heidelberger, der für die DJK St. Ingbert startet, gehört mit seinen 19 Jahren noch zum Nachwuchs und kam bei der EM 2014 auf Rang 49.

Lisa Sieburger: Sie ist ebenfalls Triathletin und ebenfalls aus Saarbrücken. Nach ihrer Schulterverletzung im Dezember 2014 ist sie jetzt wieder ganz nah dran an ihrer alten Form. Die 23-Jährige verpasste beim zweiten Weltcup-Rennen der Saison im neuseeländischen Plymouth nur knapp eine Platzierung unter den besten Zehn. Rang 17 - allerdings über die halbe olympische Distanz. Dennoch: In diesem Jahr will die Eschbornerin "einfach mal einen raushauen". Ob mit einem Podestplatz bei einem Weltcup oder ein Top-Zehn-Ergebnis bei der EM. Vielleicht aber auch schon bei den Europaspielen in Baku .

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HintergrundÜber 6000 Athleten aus sämtlichen 50 europäischen NOKS kämpfen bei den ersten Europaspielen in Baku in 20 Sportarten (davon 16 olympischen) um Medaillen. Deutschland entsendet 265 Athleten, darunter Stars wie Britta Heidemann (Fechten), Turner Fabian Hambüchen und die Tischtennis-Asse Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov.Die sportliche Bedeutung ist aber überschaubar. Die Judoka tragen in Baku ihre EM aus, ansonsten bringen Titel bestenfalls ein Direkt-Ticket für Olympia 2016 (Tischtennis, Triathlon und Schießen). Die wichtigsten olympischen Sportarten liegen brach: In der Leichtathletik wird die dritte Liga der Team-EM ausgetragen, die Schwimmer veranstalten ihre Junioren-EM. Der Grund: Die internationalen Verbände IAAF und FINA tragen im Spätsommer ihre WM aus, Baku passt nicht in den Terminplan. sid

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