Fußball „Kein Mensch liebt Tuchel“

Paris · Für den deutschen Trainer von Paris St. Germain ist das Duell mit Ex-Club Borussia Dortmund existenziell wichtig.

 Trainer Thomas Tuchel wird in Paris durchaus kritisch gesehen. Viele Experten trauen ihm große Erfolge nicht zu.

Trainer Thomas Tuchel wird in Paris durchaus kritisch gesehen. Viele Experten trauen ihm große Erfolge nicht zu.

Foto: dpa/Robert Michael

Es ist ein grauer Februar-Morgen in Saint-Germain-en-Laye. Das Training war für 11 Uhr angesetzt. Um 11.11 Uhr trabt der erste Profi von Paris St. Germain gemächlich auf den Platz. Die Kollegen trotten nach und nach hinterher. Thomas Tuchel steht da schon fast eine Viertelstunde auf dem wunderbar gepflegten Platz, direkt neben einer Baustelle des Verteidigungsministeriums. Das Wetter gefällt auch ihm augenscheinlich nicht. Er trägt eine weiße Mütze, tief ins Gesicht gezogen. Doch der Trainer wirkt alles andere als unwillig. Im Gegenteil. Er kann kaum erwarten, dass es losgeht.

Und solange noch kein Spieler in Sicht ist, müssen seine Assistenten herhalten. Wild mit den Armen fuchtelnd, redet Tuchel auf sie ein, erklärt offenbar Spielformen und Trainings-Inhalte. Seit Sommer 2018 ist der Schwabe Trainer beim neureichen Club aus der Vorstadt der französischen Metropole. Das Champions-League-Achtelfinale gegen seinen Ex-Verein Borussia Dortmund, von dem er im Zoff mit Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke schied, entscheidet in den Augen vieler Experten darüber, ob er es weiter bleiben darf.

Tuchel wirkt dieser Tage topmotiviert. Dortmund (und Watzke) schlagen, in der Champions League ein Zeichen setzen und PSG-Trainer bleiben – das ist seine Motivation. Alles sei „aufgearbeitet und verarbeitet für mich“, versichert Tuchel und bemüht sich auch sonst, das besondere Duell zu einem ganz normalen herunterzureden. „Ich habe schon meiner Oma – sie regt sich immer fürchterlich auf vor den Spielen – immer gesagt: Es ist am Ende nur Sport. Wir operieren keine Kinder, wir retten keine Leben.“

Das stimmt natürlich. Doch als der 46-Jährige kurz nach dem Training eine Pressekonferenz gibt, ist sein Problem rechts unterhalb von ihm in elf träumerischen, in Wahrheit aber unbarmherzigen Buchstaben zusammengefasst. „Dream bigger“ steht da. Träume größer. Seit die Investorengruppe Qatar Sports Investments PSG übernahm, soll der Club nach den Sternen greifen. Die Katarer schenkten PSG Geld und Stars. Mit dem Kleingedruckten gab es Druck und Ungeduld obendrauf.

„Die Bosse erwarten das Finale. Und die Voraussetzungen dafür sind da“, sagt Luis Fernández. Die französische Fußball-Ikone mit dem strengen Blick war Europameister 1984, Spieler und zwei Mal Trainer bei PSG und ist heute ein Klartext sprechender TV-Experte. „Mit Blick auf die Ergebnisse der vergangenen Saison ist Tuchel der schlechteste Trainer seit dem Einstieg Katars“, sagt Fernández und zählt Tuchel nicht zu den internationalen Spitzentrainern: „Er ist immer noch weit entfernt vom Niveau eines Jürgen Klopp, Pep Guardiola oder Carlo Ancelotti.“

Direkt nach dem Amtsantritt gab Präsident Nasser Al-Khelaifi 2011 das Ziel aus, in fünf Jahren die Champions League gewinnen zu wollen. Jetzt sind es schon neun Jahre, und sie waren noch nicht einmal im Halbfinale. Meister muss Tuchel natürlich auch werden. Doch ist das allenfalls eine Grundvoraussetzung. So wie ein Trainerschein. Dass er mit PSG seit 23 Spielen ungeschlagen ist, wird für viele fast belanglos werden, wenn er im entscheidenden Moment nicht gewinnt. Einen Perfektionisten wie Tuchel, der den Zufall in diesem Spiel immer auf ein Minimum reduzieren möchte, macht so etwas wahnsinnig.

„Diesmal muss er mindestens ins Halbfinale kommen“, sagt L’Équipe-Reporter Arnaud Hermant, der seit 18 Jahren täglich über den Verein berichtet: „Sonst wird er nicht Trainer bleiben können.“ Dass viele Tuchel das nicht mehr zutrauen, liegt vor allem am letztjährigen Achtelfinale. Nach einem 2:0-Sieg in Manchester schied PSG im Rückspiel durch ein 1:3 daheim aus. Gegen ein United, das ein Schatten seiner glorreichen Tage ist. „Das hat auf jeden Fall Spuren hinterlassen“, sagt Fernández. „Dadurch hat er jeden Kredit verloren“, meint gar Polo Breitner, der eine Biografie mit dem Titel „L’énigme Tuchel“ („Das Rätsel Tuchel“) veröffentlicht hat: „Ich glaube, dass er sofort weg ist, wenn er gegen Dortmund ausscheidet.“

Einer der größten Vorwürfe: Tuchel gewähre seinen Stars zu viele Sonderrechte. Vor allem Neymar. Oder auch Kylian Mbappé. Einfach, um sie bei Laune zu halten. Das komme nicht immer gut an. „Tuchel ist einfach kein Mann fürs Volk, auch wenn er sich am Anfang so gegeben hat“, sagt Biograf Breitner: „Jürgen Klopp ist Danton, Thomas Tuchel ist Robespierre. Vielleicht ist Tuchel der bessere Trainer. Aber das Volk liebt Klopp. Kein Mensch liebt Tuchel.“

 PSG-Trainer Thomas Tuchel (links) diskutiert mit Kylian Mbappé und erläutert ihm direkt an der Seitenlinie seine Auswechslung.

PSG-Trainer Thomas Tuchel (links) diskutiert mit Kylian Mbappé und erläutert ihm direkt an der Seitenlinie seine Auswechslung.

Foto: dpa/Christophe Ena
 Auf starke Leistungen seines Topspielers Neymar (rechts) ist Thomas Tuchel angewiesen. Er gewährt dem Brasilianer viele Freiräume.

Auf starke Leistungen seines Topspielers Neymar (rechts) ist Thomas Tuchel angewiesen. Er gewährt dem Brasilianer viele Freiräume.

Foto: dpa/Thibault Camus

Von Klopp gibt es in Liverpool Schals, T-Shirts. Im Fan-Shop von PSG auf den Champs-Élysées gibt es Boxershorts, Baby-Strampler und Radiergummi. Nichts zu Tuchel. Danach habe auch noch nie jemand gefragt, sagt der Verkäufer. Dennoch passe Tuchel zu PSG, findet Breitner, „weil er elitär denkt“. Das tue auch der Verein, vor allem unter dem Einfluss aus Katar. „Sie reden nur vom Gewinnen, aber sie haben nicht verstanden, was Paris ist. Paris ist die Ville-Lumière, die Stadt des Lichts. Paris will Glanz“, sagt Breitner: „Hier geht es niemals nur ums Gewinnen.“

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