"Wir haben die Schnauze voll"

Saarbrücken. "Wir haben die Schnauze voll. Wir fühlen uns von der Politik in Stadt und Land nicht ernst genommen, verschaukelt und an der Nase herumgeführt", so begründet Rudolf Andres, Sprecher der "Bürgerinitiative (BI) Hubert-Müller-Straße und angrenzende Gebiete", dass er und seine Mitstreiter jetzt endgültig und verbittert "das Handtuch werfen"

 Diese Karte von 2002 zeigt drei Varianten zum Bau der A 1-Verschwenkung, der Verbindung zwischen A 1 und A 623, die Saarbrücken eine Menge Durchgangsverkehr ersparen könnte. Infografik: SZ

Diese Karte von 2002 zeigt drei Varianten zum Bau der A 1-Verschwenkung, der Verbindung zwischen A 1 und A 623, die Saarbrücken eine Menge Durchgangsverkehr ersparen könnte. Infografik: SZ

Saarbrücken. "Wir haben die Schnauze voll. Wir fühlen uns von der Politik in Stadt und Land nicht ernst genommen, verschaukelt und an der Nase herumgeführt", so begründet Rudolf Andres, Sprecher der "Bürgerinitiative (BI) Hubert-Müller-Straße und angrenzende Gebiete", dass er und seine Mitstreiter jetzt endgültig und verbittert "das Handtuch werfen". Elf Jahre lang hatte die BI unermüdlich (die SZ berichtete) dafür gekämpft, dass Malstatt und Burbach von dem extremen Verkehr befreit werden, der durch die beiden Stadtviertel rollt, weil sie zwischen drei Autobahnen (A) liegen - nämlich zwischen der A 1, der A 620 und der A 623. Die gigantische Blechlawine, die den Bürgern auf die Nerven geht, besteht aus mehreren Verkehrsströmen. Der erste kommt auf der A 1 aus Richtung Trier und teilt sich am Ortseingang von Saarbrücken - dort, wo sich Hubert-Müller-Straße und Lebacher Straße treffen. Die eine "Hälfte" dieses Stromes bewegt sich dann auf der Lebacher Straße zum Ludwigsbergkreisel und vor dort über die Camphauser Straße zur A 623 Richtung Neunkirchen oder über die Westspange auf die A 620 Richtung Mannheim. Die andere Hälfte fließt in die Hubert-Müller-Straße und weiter unten auf die A 620 Richtung Saarlouis. Der zweite Verkehrsstrom kommt auf der A 623 aus Richtung Neunkirchen und fließt dann über den Ludwigskreisel auf die A 620 - oder vom Kreisel über die Lebacher Straße zur A 1 Richtung Trier. Der dritte Strom kommt auf der A 620 aus Richtung Saarlouis und nimmt die Hubert-Müller-Straße Richtung A 1. Der vierte Strom kommt auf der A 620 und fließt über Ludwigskreisel und Lebacher Straße zu A 1.Die Dimensionen dieser Verkehrsströme lassen sich erahnen, wenn man sich folgende "Momentaufnahme" vor Augen führt. Nach Informationen der BI rollten allein am Dienstag, 9. Februar 2010, insgesamt 23 307 Fahrzeuge über die Hubert-Müller- und die Lebacher Straße von und zur A 1; davon 21 976 Pkw, 1074 Lkw, 186 Busse und 71 andere Kraftfahrzeuge. Den Weg durch die Hubert-Müller-Straße nahmen 9413 Pkw, 103 Lkw und 18 Busse. Die Lebacher Straße nahmen 12 563 Pkw, 971 Lkw, 168 Busse und die 71 anderen Kraftfahrzeuge. Die einzige Chance, um diese Blechlawine einzudämmen - das glaubt jedenfalls die BI - ist der Bau der "A 1-Verschwenkung". So nennen Politiker und Straßenplaner seit rund zehn Jahren eine Verbindung zwischen A 1 und A 623 außerhalb der Stadt. Die würde dafür sorgen, dass ein Großteil des heutigen Durchgangsverkehrs gar nicht erst in die Stadt kommt.Und weil die "Verschwenkung" zwischen A 1 und A 623 ebenfalls ein Stück Autobahn wäre, müsste sogar die Bundesregierung den Bau bezahlen. Also erkundigte sich die SZ im Bundesverkehrsministerium (BVM) nach dem Stand des seit zehn Jahren diskutierten Projektes. Das BVM versicherte: Die Verschwenkung stehe im Bundesfernstraßen-Bedarfsplan "als Vorhaben des vordringlichen Bedarfs." Allerdings seien die Pläne aus zwei Gründen noch nicht weit gediehen. Erstens müsse die Verschwenkung ja durch ein Naturschutzgebiet gelegt werden. Und zweitens bereite sich die Straßenbauverwaltung des Saarlandes zurzeit darauf vor, die Fahrzeuge auf allen Straßen des Landes zu zählen. Mit den Ergebnissen werde später weitergeplant. Abschließend stellte das BVM fest, "Voraussetzung" für den Bau der Verschwenkung sei "dass hierfür das Baurecht durch das Land geschaffen werden muss, bevor sich für den Bund die Frage nach Finanzierung und Realisierung stellt".Daraufhin fragte die SZ mehrmals im saarländischen Verkehrsministerium nach, wann denn nun das vom BVM zitierte "Baurecht" für die Verschwenkung geschaffen wird. Nach über einem Monat erging folgende Antwort: "Die A 1-Verschwenkung wird derzeit nicht vorangetrieben. Die Begründung hat das Bundesministerium bereits geliefert. Die Antwort des Bundesministeriums ist mit uns abgestimmt." Meinung

Wohnen auf der Autobahn

 Diese Karte von 2002 zeigt drei Varianten zum Bau der A 1-Verschwenkung, der Verbindung zwischen A 1 und A 623, die Saarbrücken eine Menge Durchgangsverkehr ersparen könnte. Infografik: SZ

Diese Karte von 2002 zeigt drei Varianten zum Bau der A 1-Verschwenkung, der Verbindung zwischen A 1 und A 623, die Saarbrücken eine Menge Durchgangsverkehr ersparen könnte. Infografik: SZ

Von SZ-RedakteurJörg Laskowski Engagierte Bürger haben ein Recht auf klare Antworten - selbst wenn es abschlägige Antworten sein sollten. Wer klar antwortet, der signalisiert den Bürgern, dass er sie für voll nimmt, ihr Engagement schätzt und ihre Zeit nicht verplempern will. Deshalb kommen engagierte Bürger mit einer negativen, aber klaren Antwort immer besser zurecht als mit schwammigem Geschwurbel. Das gilt auch in Malstatt und Burbach. Dort nahmen 1999 rund 200 Bürger den Kampf gegen eine Blechlawine auf - gegen Abgas, Lärm, Unfallgefahr - und für die Bewohner zweier Stadtviertel. Bislang erfolglos. Die Bürgerinitiative hat keinen einzigen Verbündeten in der Politik. Warum auch immer. Jetzt werfen die Bürger verbittert das Handtuch. Und noch einmal erfahren sie und ihr Anliegen eine empörende Geringschätzung. Denn die regierungsamtlichen Antworten auf die SZ-Frage nach dem Stand des Projektes A 1-Verschwenkung klingen ganz gewaltig nach Geschwurbel.Welche neue Erkenntnis zur A 1-Verschwenkung soll die Fahrzeugzählung im ganzen Land bringen? Es gibt nirgendwo im Land eine ähnliche Situation: Entlang der Hubert-Müller- und der Lebacher Straße wohnen die Menschen de facto auf einem Autobahndreieck. Und die Behauptung, dass ein Landes- und ein Bundesministerium ihre Antworten zu einem so dringenden Problem abgesprochen haben sollen, legt den Verdacht nahe, dass hier einfach nur abgewiegelt wird.

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