"Im Denken mancher Ärzte änderte sich wenig"

Was waren die Beweggründe, dieses Buch zu schreiben?Tascher: Mit meiner Arbeit am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Heidelberg soll vor allem das Bewusstsein ethischer Grenzen im medizinischen Handeln geschärft werden und das Bewusstsein dafür, nie wieder Menschen nach ihrer "Wertigkeit" zu kategorisieren und zu behandeln

Was waren die Beweggründe, dieses Buch zu schreiben?

Tascher: Mit meiner Arbeit am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Heidelberg soll vor allem das Bewusstsein ethischer Grenzen im medizinischen Handeln geschärft werden und das Bewusstsein dafür, nie wieder Menschen nach ihrer "Wertigkeit" zu kategorisieren und zu behandeln.

Welche Quellen standen ihnen für ihre Arbeit zur Verfügung?

Tascher: Im Archiv des Deutschen Ärzteblatts haben ich die als Mikrofilme vorliegenden Unterlagen der Reichsärztekammer vom 'Gau Westmark' mit den Namen aller Ärzte und ihrer Funktionen von 1944 nutzen können. Die habe ich auf eigene Kosten digitalisieren lassen. Zudem konnte ich Bestände im Archiv der Ärztekammer des Saarlandes zur Gründungsgeschichte der Kammer nutzen, die der frühere Kammerpräsident Professor Franz Carl Loch mit Hilfe des seinerzeitigen Leiters des Landesarchivs, Professor Hans-Walter Herrmann, hatte anlegen lassen. Darüber hinaus war ich in Archiven in Prag, Speyer, Berlin, Ludwigshafen, Saarbrücken und anderen Orten.

Welches sind die wesentlichen Ergebnisse ihrer Forschungen?

Tascher: Nach dem Anschluss des Saarlandes ans Reich 1935 wurden von den Gesundheitsämtern Erbkarteien erstellt zur erbbiologischen Bestandsaufnahme des Volkes. Dabei haben neben Ärzten auch Schulräte, Polizeibehörden, Bürgermeister, Standesämter, Jugendämter, sämtliche Fürsorgestellen, Hebammen und Fürsorgerinnen mitgewirkt. Jeder Schüler, der schlechte Leistungen zeigte, wurde gemeldet. Hebammen haben die Neugeborenen mit Behinderung gemeldet. Es wurden zum Beispiel Trinker und Epileptiker erfasst. Auf der Grundlage des 'Erbgesundheitsgesetzes', des 'Grundgesetzes' der NS-Diktatur, wurden dann viele Menschen zur Sterilisation verurteilt oder später zwangsweise nach Hadamar in Hessen transportiert und dort umgebracht.

Was geschah mit NS-Tätern nach Kriegsende im Saarland?

Tascher: Es gab strukturelle, personelle und ideologische Kontinuitäten. Auch die mit einigen Widerstandsleuten besetzte Regierung von Johannes Hoffmann hat das Machtpotenzial der alten NS-Strukturen genutzt, um die so genannte 'soziale Sicherheit' zu gewährleisten. Drei Personen stehen exemplarisch dafür: Dr. Max Obé, höchster Medizinalbeamter während der Nazizeit im Saarland. Heinrich Welsch, der ab 1940 Justizchef in Lothringen gewesen war, dann ab 1948 Chef der Landesversicherungsanstalt wurde und zahlreichen hohen Nazis Persilscheine ausstellte. Von 1955 bis 1956 war Welsch Ministerpräsident des Saarlandes. Und Oskar Orth, Leiter des Landeskrankenhauses in Homburg und mitverantwortlich für etwa 1400 Zwangssterilisationen und zahllose als Euthanasie getarnte Morde, genoss nach 1945 höchstes Ansehen und wurde sogar Ehrenbürger Homburgs.

Gab es in der saarländischen Bevölkerung Proteste gegen die weitere Bestallung der Nazis?

Tascher: Nein, die gab es nicht, denn die neue Zeit wurde als von außen aufgedrückt empfunden. Stattdessen gab es Sonderregelungen, um Ärzte möglichst schnell zu entnazifizieren, weil die Bevölkerung sie brauchte. Wie wenig sich im Denken mancher Ärzte geändert hatte, zeigt der Umstand, dass Amtsärzte sogar 1948 noch ein "Ehegesundheitsgesetz" für das Saarland forderten, um darüber bestimmen zu können, wer welchen Partner heiraten durfte.

Gab es saarländische Ärzte, die von Gerichten für ihre Verbrechen während der NS-Jahre zur Rechenschaft gezogen wurden?

Tascher: Es liefen wohl mehrere Verfahren vor Gerichten, doch die wurden alle niedergeschlagen.

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