Hörgeschädigte kämpfen für Weg ins Berufsleben

St. Wendel. In Deutschland mangelt es an einheitlichen Strukturen für Hörgeschädigte, den Weg hin zu einem Job zu erleichtern. Das sagt Dr. Harald Seidler. Der St. Wendeler Chefarzt an der Bosenberg-Klinik und Präsident des Deutschen Schwerhörigenbundes (DSB) kritisiert, dass für diese Bevölkerungsgruppe klare Zuständigkeiten fehlten

St. Wendel. In Deutschland mangelt es an einheitlichen Strukturen für Hörgeschädigte, den Weg hin zu einem Job zu erleichtern. Das sagt Dr. Harald Seidler. Der St. Wendeler Chefarzt an der Bosenberg-Klinik und Präsident des Deutschen Schwerhörigenbundes (DSB) kritisiert, dass für diese Bevölkerungsgruppe klare Zuständigkeiten fehlten. Der 53-Jährige: "Wenn es darum geht, wer bezahlen soll, zeigt einer auf den anderen." So seien beispielsweise zwar die Krankenkassen für notwendige Operationen Ansprechpartner, wenn es um entsprechende Implantate geht. Aber was die Rehabilitation betrifft, um ins Berufsleben eingegliedert zu werden, stritten sich die Stellen. Es sei nicht eindeutig geklärt, ob der Rentenversicherer die Kosten übernehmen muss, damit der Hörgeschädigte wegen Arbeitsunfähigkeit nicht länger der Sozialkasse zur Last fällt. Obwohl es "immer wieder eindeutige Gerichtsurteile" zu den Kompetenzen gebe, müssten Betroffene oftmals lange, nervenaufreibende Prozesse über sich ergehen lassen, kritisiert Seidler. Darum befassten sich Patienten, Mediziner und Vertreter von Krankenkassen und Sozialträgern während einer Tagung mit diesem Problem. Die Aufgabe der 150 Teilnehmer aus Deutschland, Österreich, Luxemburg und der Schweiz: Wie nehmen die Fachvertreter Einfluss auf die Politiker in Berlin, damit es zu einheitlichen Standards kommt? Seidler, der auch Vorsitzender des Verbandes der Hörgeschädigten im Saarland ist: "Wir müssen den Verantwortlichen klar machen, dass hörgeschädigte Menschen den Sozialkassen nicht mehr zur Last fallen, wenn sie arbeiten." Und dass sie das können, sei unbestritten. Früher habe die Gesellschaft Gehörlosen klar gemacht, dass sie Aufgaben nicht gewachsen seien. Das stimme nicht. Doch wer immer gesagt bekommt, dass er das nicht kann, falle in Depressionen und damit für die Arbeitswelt aus, weil er sich zurückziehe. Dass es auch anders geht, beweist Seidler als Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, an der Rehabilitationsklinik auf dem St. Wendeler Bosenberg: Nach einer Hirnhautentzündung im Kindesalter lebte der gebürtige Braunschweiger selbst als Schwersthörgeschädigter. Trotzdem studierte er und gelangte in die Leitungsposition, die er heute innehat. Erst 2008 entschied er sich zu einem Implantat am linken Ohr, das ihm das Hören wie bei einem gesunden Menschen ermöglicht.

HintergrundZum vierten Cochlea-Implant-Symposium der St. Wendeler Bosenberg-Klinik im Alsfasser Kulturzentrum waren rund 150 Teilnehmer aus Deutschland, Österreich, Luxemburg und der Schweiz angereist. Zwei Tage debattierten Experten aus Medizin sowie Vertreter von Hörgeschädigten-Verbänden und Sozialträgern zu Themen wie Operationen und Lebensqualität. Das nächste Treffen findet am 11./12. November nächsten Jahres ebenfalls in Alsfassen statt.Medizinern ging es in erster Linie darum, welche Patienten spezielle Implantate fürs verbesserte Hören bekommen, wann sich eine entsprechende Operation lohnt. Beim Cochlea-Implant handelt es sich um eine Art Innenohr-Prothese. Sie stellt eine Verbindung zwischen den akustischen Signalen und den Nerven her, die das Geräusch im Gehirn in wahrnehmbare Impulse umwandeln. Mittlerweile wird dieses Implantat bis zu 8000 Mal pro Jahr eingesetzt. Mediziner sprechen deshalb von Routineeingriffen. Zurzeit leben laut Experten rund 200 000 Menschen weltweit mit dieser technischen Hilfe. Etwa 15 000 Hörgeschädigte entschlossen sich in Deutschland für solch eine Operation. Die jüngste Patientin: sieben Monate, der älteste Patient über 80 Jahre. 14 Millionen Hörgeschädigte gibt es nach Angaben der Behinderten-Selbsthilfeorganisation Deutscher Schwerhörigenbund (DSB) mit Sitz in Berlin in Deutschland. 2,5 Millionen von ihnen tragen demzufolge ein Hörgerät. hgn

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