Ein Kulturgut namens Alkohol

Saarbrücken · Ein Gläschen nach Feierabend, eine gute Flasche zum Essen und Sekt zum Anstoßen: Der Alkoholkonsum in Europa hat eine lange Tradition, wie der Historiker Beat Kümin in einem Gastvortrag an der Saar-Uni erläuterte.

Man muss nicht betrunken sein, um heutzutage an nahezu jeder Ecke über Sätze wie diese zu stolpern: "In der Gesellschaft herrscht eine weit verbreitete unkritisch positive Einstellung zum Alkohol vor. Durchschnittlich werden pro Kopf der Bevölkerung jährlich rund zehn Liter reinen Alkohols konsumiert." Der Satz stammt von der Internetseite des Bundesgesundheitsministeriums. Der Schweizer Historiker Beat Kümin hat in seiner Forschung die Frage aufgeworfen: War das nicht schon immer so? In seinem einstündigen Gastvortrag über die "Kulturgeschichte des Trinkens in Europa" am Mittwochabend an der Saar-Uni offenbarte er anhand historischer Quellen, dass es in Europa tatsächlich seit jeher eine "positive Einstellung zum Alkohol" gibt. Wenn auch mit einem Unterschied: Früher wurde noch viel mehr getrunken!

Kümin, der in Cambridge promovierte und an der britischen Universität Warwick lehrt, hat sich seinem Forschungsthema über die Rolle des Wirtshauses als Jahrhunderte alter Kommunikationsort genähert. Demnach hatte der Alkoholkonsum bereits im Mittelalter die Funktion eines "sozialen Schmiermittels" und förderte Geselligkeit. So gesehen sei Trinken gar ein "konstruktiver Akt". Gefördert wurde die Akzeptanz von Alkohol auch in dem für das Abendland prägenden Christentum: Beim Abendmahl beispielsweise gilt Wein als Symbol für das Blut Christi.

Eine lange Tradition hat nach Kümin aber nicht nur der Konsum von Alkohol, sondern auch die Warnung vor seinem Missbrauch. Angesichts der vielen Saufgelage hatte so etwa bereits Luther 1539 in seiner "Predigt gegen die Trunkenheit" zur Mäßigung aufgerufen und die Sorge geäußert, dass am Ende andere Völker "uns haissen die vollen Deütschen". Vor diesem Hintergrund seien die heute kursierenden Warnungen vor einem "Niedergang der Jugendkultur" aufgrund des hohen Alkoholkonsums relativ. Dennoch verzeichnet Kümin wesentliche Veränderungen in der "europäischen Trinkkultur": Alkohol ist heute billiger und rund um die Uhr zu haben, übermäßiger Alkoholkonsum von Frauen ist kein Tabu mehr und das Trinken in den eigenen vier Wänden (vor allem Alleinstehender) nimmt deutlich zu. Nicht zuletzt mit Blick auf das Phänomen des Komasaufens sprechen Forscher inzwischen von einer "culture of intoxication" (Rauschkultur). Dass die Entwicklung (wohl zu Recht) Besorgnis auslöst, hat allerdings Tradition. Das Bundesgesundheitsministerium warnt.

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