Die Stadt ist trister ohne euch

Neulich stand ein etwa 15-jähriges Mädchen vor mir an der Kasse. Die Warteschlange beim Textilriesen in der Bahnhofstraße war endlos zäh.

Das Mädchen vor mir telefonierte. Sie sprach nicht in ganzen Sätzen. Halbsätze, Wortfetzen, ein immer wieder lang gezogenes "Ist klar" und fröhliches Kichern reichten für ihren Gesprächspartner am anderen Ende, um von dem einen Kleid abzuraten und dem anderen zuzustimmen. Bevor sie auflegte, sagte sie aber einen ganzen Satz: "Warum mussten deine Eltern nur wegziehen?" Ich überlegte kurz, ob ich ihr das Kleid entreißen, es auf meinen Stapel legen und sagen sollte: "Später wirst du nicht bei jedem Kleid deine beste Freundin anrufen, wirst nicht täglich telefonieren... Es wird anders mit der Zeit." Ich tat's nicht, weil's nicht die ganze Wahrheit gewesen wäre.

Auch meine Freundin L. zieht weg. "Zurück nach Frankreich. Näher zu meinen Eltern", teilte sie mir neulich mit. Und auch L. war kürzlich shoppen, aber ohne, dass sie meinen Rat gebraucht hätte. Wir waren verabredet zum Tanzen, freuten uns, dass wir uns nach langen Wochen endlich wiedersehen würden. Doch es kam anders. L. hatte "extra eine kleine Tasche gekauft, die man sich beim Tanzen umhängen kann". Ich habe vergessen, warum L. in der Nacht nicht auftauchte. Ich glaube, es war eine der Nächte, in der sie entschied, dass Saarbrücken ihr nicht mehr genüge. "Die Tasche", sagte L. am Telefon, "hab' ich zurückgebracht. Dafür Chucks gekauft. Für mein neues Leben brauche ich flache Turnschuhe." Ich hätte dem Mädchen an der Kasse nämlich dann auch sagen müssen: "Saarbrücken ist trister ohne unsere Freundinnen." Ich wünsche mir, dass das Mädchen und L. ihre neuen Sachen trotzdem beim Tanzen tragen. Auch ohne ihre Freundinnen!

Mit wem telefonieren Sie, wenn Sie in der Warteschlange stehen? Schreiben Sie mir eine Mail an marija.herceg@gmx.de.

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