Heilmedizin Wenn der „Magnetiseur“ die Schmerzen kuriert

Montigny-lès-Metz · In Lothringen nehmen mehr und mehr Menschen die Dienste sogenannter Heiler in Anspruch. Doch was ist davon zu halten?

 „Magnetiseur“ Jean Savey, ein 80-jähriger früherer Berufssoldat, versucht mit seinen Händen die Allergieleiden seiner Patientin Christelle Bernez-Lorrain zu heilen.

„Magnetiseur“ Jean Savey, ein 80-jähriger früherer Berufssoldat, versucht mit seinen Händen die Allergieleiden seiner Patientin Christelle Bernez-Lorrain zu heilen.

Foto: Helene Maillasson

Christelle Bernez-Lorrain liegt auf dem Behandlungstisch. Sie leidet an Darmschmerzen. Doch anders als beim Arzt muss sie ihre Bluse nicht ausziehen. Die 37-Jährige besucht heute zum fünften Mal die Praxis von Jean Savey und verspricht sich eine Linderung ihrer Schmerzen. Denn Jean Savey ist ein sogenannter „Magnetiseur“, eine Art „Heiler“. Zuerst drückt er seine Daumen an die seiner Patientin. „So entsteht ein Energie-Fluss“, beschreibt der Mann. Nach rund fünf Minuten legt er seine Hände über ihren Bauch. Christelle Bernez-Lorrain hat die Augen zu. „Wenn es in den Fingern kribbelt, heißt das, dass ich über dem Körperteil bin, das Probleme macht“, meint der Heiler. Knapp 40 Minuten hält er seine Hände über Christelle Bernez-Lorrain. Als er damit fertig ist, richtet sie sich wieder auf. „Ich hoffe, das hält jetzt ein paar Wochen wie letztes Mal.“ Bernez-Lorrain leidet an einer seltenen Farbstoff-Allergie. Sie muss alles selbst kochen, Kantinen-Essen ist für sie tabu. Isst sie doch eine Speise, die den Farbstoff enthält, leidet sie an starken Bauchkrämpfen. Die Sitzung beim Heiler lindere die Schmerzen, sagt sie. Vor einem Jahr betrat die Metzerin zum ersten Mal die Praxis von Jean Savey. Sie litt an einer Gürtelrose im Rücken. „Ich war mehrmals beim Hautarzt. Er hat mir Antibiotika verschrieben, die zwar in dem Moment geholfen haben, mich zugleich aber extrem müde gemacht haben. Und die Krankheit kam immer wieder, das ist sehr schmerzhaft“, sagt Christelle Bernez-Lorrain. Auf gut Glück versuchte sie es mit dem Heiler. „Ich glaube nicht an Magie, aber ich dachte, ich kann es ausprobieren. Im schlimmsten Fall sind 40 Euro futsch, im besten Fall hilft es ein bisschen“, erzählt die Spanischlehrerin. Sie wählte Savey aus, weil er durch den nationalen Dachverband für Alternativmedizin Gnoma zertifiziert ist und seine Praxis sich im Metzer Vorort befindet. „Nach der ersten Sitzung waren einige Pickel weg. Nach der dritten Sitzung waren auch Schmerz und Rötungen verschwunden. Jetzt ist es ein Jahr her und es ist nicht wiedergekommen. Deshalb dachte ich, ich probiere es auch für meine Allergie.“

Wie Christelle Bernez-Lorrain wenden sich im Osten Frankreichs immer mehr Menschen an Heiler. Das hat die Ethnologin an dem Grundlagenforschungszentrum CNRS Déborah Kessler-Bilthauer festgestellt, als sie über zeitgenössische Heiler und ihre Kunden in Lothringen promovierte. „Hier nehmen immer mehr Menschen die Dienste der Heiler in Anspruch. Es handelt sich um eine hohe Zahl an ‚Patienten’, aber man kann keine statistische Angaben dazu machen, da sie sich oft an nicht registrierte Heiler wenden“, so die Wissenschaftlerin. Jean Savey selbst ist offiziell als „Magnetiseur“ angemeldet. Man findet ihn im Telefonbuch. Der ehemalige Berufssoldat ist 80 Jahre alt. Als er in Pension ging, eröffnete er seine Praxis. Der Raum ist rustikal eingerichtet. Ein Schreibtisch mit zwei Stühlen, ein Bücherregal und die Patientenliege. Er habe relativ früh entdeckt, dass er eine Gabe habe. Er habe das aber zuerst nicht ernst genommen. Bei einem beruflichen Aufenthalt in Polynesien habe er gesehen, wie ein Heiler dort einen Mann geheilt hätte, der von einer Schlange gebissen worden war. Ab dann habe Savey immer wieder seine Gabe getestet, bei Verwandten und Freunden, die über Schmerzen klagen. Auch seine Kollegin Michèle Szucs behandelt kostenlos Menschen in ihrer Umgebung. „Es kommen aber immer wieder Menschen auf Empfehlung, vielleicht werde ich auch eine Praxis aufmachen“, sagt sie. Ihre Zertifizierung durch den Dachverband Gnoma hat sie schon erhalten, nachdem ihre Seriosität durch eine Testkundin geprüft worden war. „Der Besuch beim Heiler ist nur der zweite Schritt. Die Patienten sollten sich immer zuerst von ihrem Hausarzt untersuchen lassen. Die Energieflüsse können nicht jede Krankheit heilen“, sagt Szucs. Jeder Mensch reagiere auch anders. „Heiler können manche Hauterkrankungen, Brüche oder Prellungen vollständig behandeln. Auch bei psychischen Erkrankungen gibt es gute Ergebnisse. Bei anderen Krankheiten kann man im besten Fall nur die Symptome lindern. Wir können keinen Krebs heilen“, betont Szucs.

Das ist nach ihrem Bekunden oft der Vorwurf, den Heiler zu hören bekommen. Dass sie Scharlatane sind, die bloß Menschen das Geld aus der Tasche ziehen wollen. Zu Unrecht finden Savey und Szucs. Wie überall gäbe es auch unter den sogenannten Heilern schwarze Scharfe. Diese würde der Dachverband aber nicht aufnehmen. „Wir machen keine falschen Versprechen“, sagt Savey. Wie bei chinesischer Medizin oder Akupunktur gebe es keine Erfolgsgarantie, aber auch keine Verpflichtung von Anfang an mehrere Termine auszumachen.

Vom wissenschaftlichen Blickwinkel lassen sich Erfolge der Alternativmedizin durch den Placebo-Effekt erklären. „Im Gegensatz zu dem, was viele Menschen denken, ist der Placebo-Effekt nicht nur ‚psychologisch’ oder erfunden. Studien haben gezeigt, dass reale physiologische Änderungen als Ergebnis einer Placebo-Behandlung im Körper eintreten“, berichtet Dr. Marian van der Meulen. Die Neuropsychologin forscht an der Universität Luxemburg zu diesem Thema. „Deshalb kann es sich bei einem Besuch bei einem Heiler oder Magnetiseur lediglich um eine Placebo-Antwort handeln, aber dennoch auch als wertvolle medizinische Wirkung betrachtet werden“, erklärte van der Meulen weiter.

Solche Formen der Alternativmedizin hätten schon immer existiert, meint Déborah Kessler-Bilthauer. „Viele Patienten bewerten die Verfahren der Heiler als relativ effizient.“ Außerdem seien sie schmerzfrei und ganzheitlich, statt sich auf ein Organ zu konzentrieren. „Die wissenschaftliche Medizin hat noch ihre Grenzen. Die ärztliche Versorgung kann manchmal schmerzhaft, teuer, beschwerlich und langwierig sein. Und dennoch wenig wirksam, um manche Symptome zu bekämpfen, zum Beispiel bei Hautkrankheiten“, so Kessler-Bilthauer. Aus diesen Gründen seien „Magnetiseure“ oder andere Heiler für immer mehr Patienten eine Alternative.

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