Auf der Suche nach Ruth Nelly

Zweibrücken · Die geheimnisvolle und spannende Welt einer Zweibrücker Familienforscherin: Aus detektivischer Neugier und Menschlichkeit spürte die Zweibrücker Hobby-Ahnenforscherin Birgit Sosson dem Leben und einem Foto des Holocaust-Opfers Ruth Nelly Abraham hinterher.

 Die Zweibrücker Hobby-Ahnenforscherin Birgit Sosson. Foto: rr

Die Zweibrücker Hobby-Ahnenforscherin Birgit Sosson. Foto: rr

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Zuerst war es ein Buch über eine Familie ihres Geburtsortes im saarpfälzischen Ommersheim, das Birgit Sosson von ihrem Vater geschenkt bekam und das in ihr den Funken für Familienforschung überspringen ließ. "Es hat mich fasziniert, wie viel man über Zusammenhänge von Familien , Ähnlichkeiten im Aussehen und sogar in der Berufswahl lernen kann, die sich über viele Generationen nachverfolgen lassen." Und über Geschichte, die Ahnenforschung in einen genaueren Kontext stellen kann: "Viel dreht sich um Flucht, Auswanderungsbewegungen zu Kriegszeiten. Und auch die Psychologie einzelner Schicksale könne besser verstanden werden."

Die heute 49-jährige Sozialpädagogin studierte in Metz, Koblenz und Mainz und kam nach dem Studium und einer Tätigkeit in Mannheim über ihre Heirat mit einem Zweibrücker hierher. In ihrer Freizeit widmet sie viele Stunden an ihrem Computer der Ahnenforschung . Ursprünglich beschränkte sie sich auf die Geschichte ihrer eigenen Familie, wobei sie bereits interessante Entdeckungen machte. Aus den USA schrieb sie ein "ähnlich verrückter Verwandter wie ich" an, und tatsächlich entdeckten die beiden gemeinsame Wurzeln ihrer Familie. Sie begaben sich auf Nachforschungen in Archiven und an Gräbern in Frankreich und rekonstruierten so ihre Familiengeschichte mit all den Verzweigungen und der Auswanderung.

In ihrer Social-Media-Gruppe von Menschen mit Interesse in der Ahnenforschung stieß Birgit Sosson eines Tages auf einen Link zum Berliner "Tagesspiegel", der sofort ihre Aufmerksamkeit weckte: "Wer hat ein Bild von Ruth Nelly Abraham?". Die heutige New Yorkerin Inge Auerbacher suchte ein Bild ihrer mit ihr zusammen im KZ Theresienstadt inhaftierten und in Auschwitz ermordeten Freundin Ruth Nelly Abraham aus Berlin. Die zwei Mädchen waren gerade acht Jahre alt, als sie ins Konzentrationslager gebracht und im gleichen Hochbett zwei Jahre lang zusammengepfercht waren und dabei enge Freundinnen wurden.

"Die Geschichte weckte sofort mein Interesse, da auch ich als Kind eine enge Freundin durch Tod verloren hatte und die Suche der inzwischen 80-jährigen Inge Auerbacher in New York gut nachempfinden konnte." Birgit Sosson nahm Kontakt mit der Frau auf und begann zu forschen.

Sehr bald wurde ihr klar, dass nur über das Erstellen eines Stammbaums der Familie Abraham eine Chance bestand, einen Überlebenden der jüdischen Familie zu finden. Sie setzte viele Einzelteile des Familie-Puzzles aus zahlreichen Quellen zusammen, recherchierte in Archiven und Standesamtsregistern, las alte Zeitungen und stieß auf einen Stolperstein in Berlin im Gedenken an die ermordete Ruth Nelly und ihre Familie.

Doch noch immer war kein Foto des ermordeten Mädchens gefunden. "Der entscheidende Durchbruch meiner Recherchen kam über die Datenbank der Holocaust-Opfer in Israel, über die ich den Enkel einer in Israel überlebten Tante von Ruth Nelly ausfindig machen konnte." Dieser forschte im Fundus der Familie nach, und einige Zeit später tauchte tatsächlich ein Bild der etwa dreijährigen Ruth Nelly auf.

Inge Auerbacher in New York hatte nach den langen Jahren der Suche nach einer Spur der ermordeten Freundin aus dem KZ, durch Birgit Sosson endlich eine Erinnerung in den Händen.

Die Bundesverdienstkreuz-Trägerin und Buchautorin Inge Auerbacher erzählt bei ihren Vorträgen in der ganzen Welt auch von den Schildkröt-Puppen der beiden Freundinnen und zeigt am Ende immer das ihr wichtige Bild von Ruth Nelly. Diese hatte ihr vor ihrem Abtransport nach Auschwitz noch die Kleider ihrer Puppe geschenkt. Es war ja die Buchstabenfolge des Alphabets, die Abraham vor Auerbacher stehen lässt und am 9. Oktober 1944 der Ältestenrat des Konzentrationslagers ihre Freundin Ruth Nelly mit der Nummer Ep--169 und nicht sie, Inge, für die Todesliste ausgewählt hat.

Ihre langwierige Recherche führte Birgit Sosson auch nach Zweibrücken : Hier steht auf dem Hauptfriedhof im jüdischen Teil ein Grabstein des Ehepaares Dreifus. Im Grab liegen die Überreste der Großeltern von Inge Auerbachers Cousinen, die zwei Zweibrücker Brüder geheiratet hatten. Ihr Buch "Ich bin ein Stern" steht in der Zweibrücker Kinder- und Jugendbücherei. Sie selbst war mit ihrer Familie im südbadischen Kippenheim ursprünglich beheimatet.

tagesspiegel.de/berlin/

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