Neuer Stoff für Koalitions-Zoff

Berlin · Firmenerben werden bislang von der Erbschaftssteuer weitgehend verschont. Das Bundesverfassungsgericht wird nach Ansicht von Beobachtern heute eine höhere Besteuerung verlangen.

Heute verkündet das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zur Erbschaftssteuer. Schon im Vorfeld gibt es Unruhe in der großen Koalition, denn es wird damit gerechnet, dass Karlsruhe die bisherigen "Verschonungsregeln" für Unternehmen ganz oder teilweise einkassieren wird und dann eine Debatte über neue Steuerlasten losgeht.

Die Union hat sich festgelegt: keine Steuererhöhungen. Fraktionschef Volker Kauder erklärte letzte Woche beim CDU-Parteitag in Köln, wie er mit dem erwarteten Urteil umgehen will: "Ich kann Ihnen jetzt schon sagen: Wir werden dafür sorgen, dass unser deutscher Mittelstand Arbeitsplätze schafft und keine Erbschaftssteuer bezahlen muss". Die CSU beschloss kurz danach die Forderung, die Erbschaftssteuer zu "regionalisieren", also von den Ländern selbst gestalten zu lassen, um "mehr Sicherheit für die Arbeitsplätze beim Vererben von Betrieben zu erreichen". Sie will Firmen in Bayern noch besser stellen und so in den Freistaat locken.

Es sieht aber danach aus, dass Karlsruhe genau anders herum urteilen wird. Denn die Richter ließen schon in der Verhandlung im Juli erkennen, dass sie die bestehenden großzügigen Befreiungen beim Vererben von Betriebsvermögen für ungerecht halten - verglichen mit dem, was normale Erben für Geld, Aktien oder Immobilien abführen müssen. Schon der Bundesfinanzhof hatte Zweifel angemeldet und das Verfahren in Gang gebracht. Nach der jetzt diskutierten Rechtslage sind Betriebserben komplett von der Erbschaftssteuer befreit, wenn sie das Unternehmen mehr als sieben Jahre mit der alten Lohnsumme fortführen; wenn es fünf Jahre sind, werden nur 15 Prozent des Betriebsvermögens besteuert. Es gibt zahlreiche Missbrauchsmöglichkeiten, nach denen die Richter im Juli bereits gezielt fragten. Der Steuerausfall durch die Firmenprivilegien macht 19 Milliarden Euro im Jahr aus; insgesamt bringt die Erbschaftssteuer den Ländern derzeit weniger als fünf Milliarden Euro.

Beobachter erwarten, dass d as Gericht Nachbesserungen verlangt: weniger großzügige Befreiungen, bessere Kontrollen oder beides. Es könnte dem Gesetzgeber dafür eine Frist geben oder aber auch, was als unwahrscheinlich gilt, das Gesetz ganz für verfassungswidrig erkläre n.

Gegen mögliche Verschärfungen wehrten sich die Unternehmensverbände mit Händen und Füßen; der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI ) warnte gestern erneut vor einer "steuerlichen Überbelastung" des Mittelstandes. Die Sorge: Manche Firmenerben müssten ins Betriebsvermögen greifen oder Mitarbeiter entlassen, um ihre Steuerbescheide bezahlen zu können.

Aus der SPD kam vom stellvertretenden Vorsitzenden Ralf Stegner der Vorschlag, solche Steuerpflichtigen könnten ihre Erbschaftssteuer-Schuld auch begleichen, indem sie Firmenanteile an den Staat abgeben, der sie in einer Holding parkt und ihnen wieder verkauft, wenn sie wieder flüssig sind. Abgesprochen ist die Idee nicht; Parteichef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ließ unserer Zeitung gegenüber erklären, dass er den Vorschlag nicht teile. Hier zeichnet sich ein weiterer Konflikt Gabriels mit den Parteilinken in der SPD ab.

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