Warum die Grünen in der Popularitätsblase blubbern

Berlin. Warum schießen die Grünen wie Kopfsalat nach oben? Mit Verblüffung registrieren Wahlforscher, Politiker und Bürger den Aufstieg der früher belächelten Ökopaxe in die Liga der Volksparteien

Berlin. Warum schießen die Grünen wie Kopfsalat nach oben? Mit Verblüffung registrieren Wahlforscher, Politiker und Bürger den Aufstieg der früher belächelten Ökopaxe in die Liga der Volksparteien. Auch wenn die Umfrage des "Forsa"-Instituts (SPD und Grüne je 24 Prozent) mit Vorsicht zu genießen ist, da Forsa-Chef Manfred Güllner selber gerne Schlagzeilen produziert, so stimmt doch die Tendenz: Die Sympathie der Bürger für Bündnis90/Die Grünen wächst stetig, sie wandeln schon fast auf Augenhöhe mit der roten SPD-Verwandtschaft.Fast. Ob der Gleichstand bereits erreicht ist, lässt sich nicht belegen. Das Institut Allensbach hat jedenfalls andere Zahlen ermittelt: SPD 29,5 Prozent, Grüne 18,5. Ein gewaltiger Unterschied. Dass dennoch die Forsa-Daten die Nachrichtenlage bestimmen und politische Statements provozieren, liegt an der medialen Inszenierung: Die Allensbach-Zahlen sind "normal" und regen niemanden auf; die Behauptung aber, "Koch" und "Kellner" (Ex-Kanzler Gerhard Schröder) spielten jetzt gleichberechtigt in der selben Liga, taugt da schon eher zur Schlagzeile. Unbestritten ist jedenfalls, dass die SPD nach ihrem Hartz-Debakel und dem Personal-Verschleiß der letzten Jahre wieder Land sieht und sich langsam erholt. Unbestreitbar ist auch, dass die Volksparteien CDU/CSU dramatisch an Zustimmung verlieren und an programmatischer Auszehrung leiden. Niemand wird zudem ernsthaft in Frage stellen, dass die FDP nach ihrer historischen Entzauberung sogar um ihr Selbstverständnis kämpfen muss, dass die Linkspartei immer blasser wird und ihren Zenit wohl überschritten hat. Aus der Verschiebung der Gewichte ergibt sich ein Gegenwartsbild: Rot-Grün, nach der verkorksten Regierungszeit unter Schröder als "Auslaufmodell" verspottet, erlebt eine ungeahnte Renaissance. Und Schwarz-Gelb, vor gerade mal einem Jahr als Hoffnungskoalition triumphal gewählt, hat auf beängstigende Weise versagt und in Rekordzeit abgewirtschaftet. Die Gründe der rasanten Veränderungen liegen auf der Hand: Die Bürger sind enttäuscht, Union und FDP haben die Erwartungen nicht ansatzweise erfüllt. Auf der anderen Seite hat sich die SPD gefangen, auch wenn das pumpige Auftreten des neuen Vorsitzenden Sigmar Gabriel eher gemischte Gefühle hinterlässt. Einerseits ist er ungemein engagiert und "kümmert sich" ernsthaft; andererseits irritiert er als sprunghafter Medien-Kasper, der Parteichef, Generalsekretär und Pressesprecher in Personalunion sein will. Im Fall Sarrazin hat er sich ziemlich verrannt und muss nun einen Parteiausschluss betreiben, den die Basis mehrheitlich ablehnt. Die Grünen profitieren von dieser Großwetterlage, von Angela Merkels ungeschickter Atompolitik, von der bürgerlichen Erweckungsbewegung "Stuttgart 21". Die Ex-Alternativen mussten sich in allen Streitfragen am wenigsten bewegen, das gilt heute schon als Qualitätsmerkmal. Der Politikprofessor Karl-Rudolf Korte spricht von einer "geliehenen Macht" für die Grünen, die sich von einer aktuellen "Popularitätsblase" ableite. Wenn nicht alles täuscht, wird die Haltbarkeit der Blase das nächste Frühjahr überdauern, das wäre dann der Super-Gau für CDU und FDP, die in Baden-Württemberg vor einer historischen Niederlage stehen. Das ist das Rätselhafte am Verhalten der bürgerlichen Parteien: Dass sie die soziologischen Entwicklungen, die Hinwendung der Bürger in pragmatische, intellektuelle, sozialökologische (also grüne) Milieus, nicht richtig ernst nehmen. Aber sie werden reagieren müssen - spätestens, wenn das bislang Undenkbare passiert und in Stuttgart und Berlin demnächst grüne Regierungschefs den Kochlöffel schwingen.

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