Ungarische Lehren

Viktor Orban hat verloren. Nicht nur bei dem Versuch, die Ungarn auf seine Seite zu ziehen und die strikte Ablehnung von Flüchtlingen salonfähig zu machen. Der Premier wollte sich als europäischer Anti-Fürst in Stellung bringen und einen Aufstand gegen das Brüsseler Establishment inszenieren. Er ist krachend gescheitert.

Dass Orban schon vorher angekündigt hatte, den Ausgang der Abstimmung nicht zu berücksichtigen und seine Linie fortzusetzen, zeigt, wie wenig er von der Demokratie hält, auf die er sich so gerne beruft. Innenpolitisch bekam er eine Rote Karte. In Europa steht er blamiert da. Doch das macht die Sache nicht einfacher. In der Union gärt es. Und dabei geht es nicht nur um die Frage, wie die EU ihre Grenzen sichern und legale Migranten fair auf die Staaten aufteilen soll. Mit Ungarn und Polen an der Spitze etablierte sich so etwas wie ein Anti-EU-Club im Osten, der sich Einmischungen Brüssels verbieten will.

Aus dem Brexit-Votum der Briten plus dem Urnengang der Ungarn hätte man gerne eine Strömung gemacht, der sich Polen, Tschechen, Slowaken und Rumänen anschließen sollen. Daraus wird nichts. Aber das schafft das Problem nicht aus der Welt. Die gegenwärtige Verfassung der Union bleibt geprägt vom offenen und latenten Widerwillen, über den gemeinsamen Markt und die Reisefreiheit hinaus zusammenzuarbeiten. Sich auch soziale und andere Standards zu geben, deren Einhaltung wie bisher von der EU-Kommission überprüft wird, ist unpopulär. Das Vorgehen gegen die ungarische Umgestaltung des Staates, das Einschreiten gegen die Versuche Polens, das Verfassungsgericht und seine Unabhängigkeit zu zerstören - diese Ansätze werden von einigen Regierungen als Eingriffe in die innere Unantastbarkeit empfunden.

Was die Staats- und Regierungschefs in den zurückliegenden Jahren an Regeln für stabile Haushalte gemeinsam verabschiedet haben, erscheint solchen Kräften als Bevormundung, gegen die man glaubt, sich zur Wehr setzen zu müssen. Nichts gegen Fördergelder oder freien Handel - aber bitte nicht mehr. Nur das war nicht das Europa, dem die Staaten beigetreten sind. Die Gemeinschaft ist kein Selbstbedienungsladen. Auch wenn Orbans Position durch das gescheiterte Referendum zweifellos geschwächt sein dürfte, so schlittert die EU nun dennoch in eine noch schwierigere Phase. In den kommenden Monaten steht eine Überprüfung des Haushaltes an. Dabei geht es nicht zuletzt um die Frage, wie die durch den Ausstieg Großbritanniens wegbrechenden Mittel aufgefangen werden. Die Orbans dieser Union werden dabei einen neuen Anlauf unternehmen, Brüssel Macht zu entreißen. Doch die anderen wie Deutschland werden darauf pochen, dass Solidarität kein Fremdwort bleibt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort