Einig worüber?

Mehr als ein Vierteljahrhundert ist die staatliche Teilung Deutschlands überwunden. In 16 Monaten wird der Fall der Berliner Mauer sogar länger zurückliegen als Ulbrichts Spalter-Bauwerk stand - 28 Jahre, 88 Tage. Die DDR wirkt wie ein kurioses Zwischenspiel. Auch wenn Deutschland am Montag zum 26. Mal den Jahrestag der Vereinigung feiert, bleiben aber Spuren der Teilung erkennbar - nicht nur bei Löhnen und Rente. Die Wahlergebnisse der letzten Monate unterstreichen, dass im Osten viele Menschen noch mit der bundesrepublikanischen, westdeutschen Realität fremdeln - zu der schon lange ein wachsender Anteil von Zuwanderern zählt. Aber auch im Westen nimmt die Ablehnung zu.

Der Flüchtlingszustrom hat damit Bruchstellen deutlich gemacht. Lange lag das Wort von der Spaltung der Gesellschaft nicht mehr so nah. Es beschreibt nun weniger ein geografisches Phänomen - sondern die Teilung zwischen Mehrheitsgesellschaft und jenen, die sich nicht in sie integrieren. Dazu gehören die xenophobischen Pegida-Demonstranten genauso wie Einwanderer , die in Parallelgesellschaften verharren.

Die "deutsche Frage", die vor 26 Jahren historisch erledigt schien, stellt sich damit neu. Sie lautet: Worauf können, worauf müssen wir uns einigen? Und sie richtet sich an Alt- wie Neubürger. Dass konservative Politiker von CDU und CSU nun in einem gemeinsamen Papier die Wertschätzung für Hymne und Fahne bewerben, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern, mag man belächeln - denn mancher schätzt gerade die Distanz zu solchen Symbolen als Teil der neuen deutschen Identität. Aber grundsätzlich haben die Unionspolitiker recht, wenn sie versuchen, ein Fundament des Zusammenlebens zu beschreiben, das sie - man darf das! - Leitkultur nennen. Wenn sie dazu "bewährte Umgangsformen" und die "Wertschätzung von Solidarität und Freiheit, Übernahme von Verantwortung, gegenseitigen Respekt und den Verzicht auf politische Gleichgültigkeit" zählen, richtet sich das an Linke wie Rechte, Migranten und Alteingesessene.

Denn Zusammenhalt erfordert mehr als die Beachtung geschriebener Gesetze. Auch die Einigung auf das Grundgesetz reicht nicht. Schon das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wird da durch das "Sittengesetz" beschränkt, das nirgendwo geschrieben steht - die Gesellschaft entwickelt es stetig fort.

In der Verfassung steht auch nichts von deutscher Schuld im Krieg, nichts von jenem zurückhaltenden Patriotismus und der Verantwortung für Israel, der daraus erwächst. Darin muss sich Deutschland, müssen sich Alt- und Neubürger einig sein. Und vor allem im Respekt vor Minderheiten, den die radikale Rechte mit Füßen tritt. Daran sei zum Einheitstag erinnert.

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