Politik auf dem Schulden-Trip

Meinung · Die Deutschen haben den Verlust ihrer D-Mark einst wehmütig hingenommen. Ex-Finanzminister Theo Waigel und der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl konnten vor allem ihren älteren Wählern, denen zwei Währungsreformen das Ersparte geraubt hatten, die Gemeinschaftswährung nur verkaufen, indem sie den europäischen Partnern klare Regeln abrangen

Die Deutschen haben den Verlust ihrer D-Mark einst wehmütig hingenommen. Ex-Finanzminister Theo Waigel und der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl konnten vor allem ihren älteren Wählern, denen zwei Währungsreformen das Ersparte geraubt hatten, die Gemeinschaftswährung nur verkaufen, indem sie den europäischen Partnern klare Regeln abrangen. Den Deutschen galten vor allem die Südeuropäer als währungspolitische Hallodris. Die Europäische Zentralbank sollte nicht gezwungen sein, großzügige Staatsausgaben mit frischem Geld zu decken - und damit die Inflation zu befördern. Daher sind den Euro-Ländern nicht mehr als drei Prozent Neuverschuldung und 60 Prozent Gesamtschuldenstand erlaubt - beides gemessen an ihrem Bruttoinlandsprodukt. Diese Grenzen sind weniger willkürlich, als sie klingen. Sie orientieren sich an ökonomischen Überlegeungen, welche Verschuldung beherrschbar ist.Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Deutschland zu den ersten gehörte, die die Latte der Euro-Kriterien rissen. Und auch jetzt finden Warnungen vor allzu lockerem Umgang mit Geld hierzulande wenig Gehör. Sicher: Die Wirtschaftskrise erfordert kühne Schritte, verschiebt Prioritäten. Der Staat muss versuchen, die Nachfrage-Lücke zu füllen, die verunsicherte Verbraucher, kriselnde Export-Länder und Investitions-scheue Unternehmen lassen. Und schon ohne aktive Schritte zur Konjunktur-Förderung würden Steuerausfälle jetzt die Neuverschuldung hochtreiben. Da muss es noch nicht panisch machen, dass Deutschland sich erneut der Drei-Prozent-Grenze nähert. Zur Erinnerung: Vor einigen Jahren verletzte der Gesamtstaat die Euro-Kriterien gleich mehrfach, weil die Neuverschuldung über drei Prozent lag. Schon 2007 war diese aber praktisch kein Thema mehr. Auch erscheint die Debatte über Geldwertstabilität bei Inflationsraten unter zwei Prozent akademisch. Wie schnell sich das aber ändern kann, zeigt der letzte Sommer: mit 3,3 Prozent Preissteigerung. Problematisch ist derzeit vor allem die Dynamik, mit der in Europa die Verschuldung steigt - und wie schnell Regierungen die Stabilitätskriterien zu den Akten legen. Da ist es politisch klug, dass die große Koalition ihr zweites Konjunkturpaket mit 50 Milliarden Euro ausdrücklich so dimensioniert, dass die Defizitgrenze eingehalten wird. Schwer vorstellbar bleibt nämlich, wie Europa auf einem Stabilitätskurs gehalten werden soll, wenn auch Deutschland das Ziel eines stabilen Euro aus dem Fokus verliert. Die Politik ist gerade weltweit auf dem Schulden-Trip. Und diese Gewohnheit ist schwerer abzulegen als eine Drogensucht.

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