Kohl beschwört sein Bild von Europa

Frankfurt/Main · Helmut Kohl wettert gegen europäischen Kleinmut und rechnet auch mit Gerhard Schröder ab. In Frankfurt stellte der Altkanzler gestern sein neues Buch zu Europa vor – seine Frau Maike Kohl-Richter hat dabei mitgeholfen.

Der Ort für die Vorstellung der Philippika des Altkanzlers hat Symbolcharakter. Im Ballsaal "Konrad Adenauer" in einem Frankfurter Luxushotel legt Helmut Kohl am Montag seinen Europa-Appell vor. Darin bescheinigt er der aktuellen Politik Kleinmut und Geschichtslosigkeit und erinnert dabei immer wieder an Adenauers große europäische Aufbruchs-Visionen nach 1945.

In seinem schmalen Band "Aus Sorge um Europa ", der morgen in die Läden kommt, ist Kohl ganz der Alte: Er teilt aus und findet deutliche Worte. Doch beim Live-Auftritt in der "Villa Kennedy" kann der gesundheitlich schwer angeschlagene Kohl seine aufgewühlten Gefühle zum Thema Europa kaum vermitteln. Seit seinem Sturz im Jahr 2008 fällt ihm das Sprechen schwer.

Kohl wirkt zwar präsenter und spricht den vorbereiteten Text flüssiger als vor gut drei Wochen, als er auf der Frankfurter Buchmesse einen wiederaufgelegten Band zum Fall der Mauer vorstellte. Doch ohne seine Frau Maike Kohl-Richter, die ihm die Zettel zurechtrückt und die Fragen zuflüstert, wäre der 84-Jährige hilflos.

Es sind dann auch vor allem Beschwörungsrituale, die vom Altkanzler kommen. "Noch ist es nicht zu spät in Europa ", sagt Kohl. Die großen Ausführungen kann er mündlich nicht mehr liefern. Doch auch im Buch bleibt vieles allgemein und europazentriert. Zu den großen Veränderungen der vergangenen 16 Jahre seit seiner Ablösung als Kanzler - zum Beispiel zur globalen Finanzkrise - hat Kohl auch im Buch wenig zu sagen.

Am konkretesten wird er, wenn es gegen seinen Nachfolger Gerhard Schröder (SPD ) geht. Dessen rot-grüne Regierung macht er für die Schuldenkrise in Europa verantwortlich. Sie habe Griechenland zu früh in die Eurozone aufgenommen und mit Frankreich den Euro-Stabilitätspakt verletzt. Das dürfte auch seiner Partei gefallen. Weniger allerdings Kohls Vorwurf, dass der Westen Russland in der Ukraine-Krise zu stark isoliert habe.

Die "Causa Griechenland " rückt später Kohls Laudator Jean-Claude Juncker ein wenig zurecht. Damals sei die EU "Opfer" falscher griechischer Statistiken geworden, sagt Juncker auf die Frage eines Journalisten. Der langjährige Luxemburger Regierungschef, der an seinem ersten Arbeitstag in Brüssel als EU-Kommissionspräsident zu Kohl nach Frankfurt kommt, nennt seinen alten Weggefährten und engen Freund einen "großen Europäer". Juncker warnt vor einer Rückkehr zu mehr Nationalstaatlichkeit. "Nicht Kleinstaaterei ist das Gebot der Stunde, sondern eine forschere Gangart, wenn es um die Integration des europäischen Kontinents geht", sagt er. Zugleich verteidigt er die Einführung des Euro in der Ära Kohls. Ohne die europäische Einheitswährung stünde es heute - nach der Finanzkrise - schlimmer um Europa . Ihr müsse eine größere politische Einheit folgen, ohne dass es zu einem "Einheitsbrei" komme. Dazu brauche es aber auch Respekt vor föderalen Strukturen.

Wie früher schreibe Kohl auch in seinem neuen Buch gegen Ressentiments innerhalb Europas an, sagt Juncker. Dass ihm seine Frau dabei behilflich ist, bestätigt Maike Kohl-Richter. Sie hat nach der Ablösung von Heribert Schwan, gegen den der Altkanzler wegen der umstrittenen Veröffentlichung der "Kohl-Protokolle" derzeit prozessiert, die Position des Ghostwriters übernommen. "Mein Mann hat das im Kopf. Ich gehe dann in die Archive und such ihm raus, was er im Kopf hat", beschreibt sie die Entstehung des Europa-Appells. "Dann lege ich ihm schrittchenweise die Dinge vor, dann redigiert er wie früher." Allerdings gibt es auch kritische Stimmen zu ihrer Rolle. Kohl-Richter wird von den Söhnen ihres Mannes und einigen seiner früheren Wegbegleiter vorgeworfen, sie schotte ihn ab. Manche sehen darin den Versuch, die Deutungshoheit über sein Wirken und politisches Vermächtnis zu erhalten. Jenes Vermächtnis, das Kohl mit seinem Buch noch einmal ins Gedächtnis zu rufen sucht.

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HintergrundIm Rechtsstreit zwischen Altkanzler Helmut Kohl und seinem ehemaligen Biografen Heribert Schwan will das Landgericht Köln am 13. November eine Entscheidung verkünden. Kohl verlangt, dass Autor Schwan und dessen Verlag in dem Buch "Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle" mehr als 100 Zitate aus den Jahren 2001 und 2002 nicht verwenden dürfen. Schwan, einst Kohls Ghostwriter , hatte den Altkanzler mehr als 600 Stunden lang in dessen Haus interviewt und die Gespräche auf Band aufgenommen. Sie dienten der Vorbereitung von Kohls Memoiren, von denen drei Bände erschienen - danach wurde die Zusammenarbeit beendet. dpa

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