Pflegereform wird zum Erbenschutzprogramm

Berlin. Im Schatten des parlamentarischen Euro-Krisen-Marathons wird der Bundestag heute sozialpolitische Weichen stellen. Es geht um die Pflegereform, die ein ganz großer Wurf sein sollte, aber am Ende kaum über eine kleine Ansammlung mehr oder minder sinnvoller Einzelmaßnahmen hinausgekommen ist. Davon zeugt schon der Preis für die gesetzlichen Neuerungen. Er ist lächerlich gering

Berlin. Im Schatten des parlamentarischen Euro-Krisen-Marathons wird der Bundestag heute sozialpolitische Weichen stellen. Es geht um die Pflegereform, die ein ganz großer Wurf sein sollte, aber am Ende kaum über eine kleine Ansammlung mehr oder minder sinnvoller Einzelmaßnahmen hinausgekommen ist. Davon zeugt schon der Preis für die gesetzlichen Neuerungen. Er ist lächerlich gering. Lediglich 0,1 Prozentpunkte mehr will Gesundheitsminister Daniel Bahr den Beitragszahlern im kommenden Jahr abverlangen. Macht bei einem Monatsbrutto von 2000 Euro gerade einmal zwei Euro zusätzlich. Dafür winken Demenzkranken ein paar Leistungsverbesserungen, werden Pflege-WGs gefördert, können pflegende Angehörige mit etwas größerer Unterstützung rechnen. Da und dort wurde ein bisschen herumgeschraubt.Seit Jahren aber pocht die Fachwelt darauf, das Grundproblem der Pflegeversicherung zu lösen, sprich, den "Pflegebedürftigkeitsbegriff" neu zu definieren. Gegenwärtig orientieren sich die Pflegeleistungen ausschließlich an den körperlichen Gebrechen der Betroffenen. Demenzkranke, deren Zahl rasant steigt, haben da besonders schlechte Karten. Die allermeisten von ihnen können sich zwar allein ankleiden oder waschen. Sie begreifen aber nicht mehr, wozu das gut sein soll. Um auch die seelischen Leiden zu erfassen, müsste sich Pflegebedürftigkeit am Grad der Selbstständigkeit ausrichten. Doch einen solchen pflegepolitischen Durchbruch scheut die Regierung, weil er mit deutlich höheren Kosten verbunden wäre.

Stattdessen verlegt sich Minister Bahr auf ein anderes Geschäftsfeld, das mit der solidarischen Pflegeabsicherung nichts mehr zu tun hat. Durch staatlich geförderte Zusatz-Policen will der FDP-Mann die Erfolgsgeschichte der privaten Riester-Rente nun im Pflegebereich fortschreiben. Doch die Ausgangslage ist eine völlig andere. Während sich Senioren garantiert über einen Extra-Obolus freuen dürfen, schüttet der "Pflege-Bahr" nur im Pflegefall Geld aus. Die persönliche Motivation für den Abschluss einer Zusatz-Versicherung wird das nicht eben befördern. Zwar stimmt es, dass zwischen den Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung und den tatsächlichen Kosten etwa für einen Heimplatz eine große Lücke klafft, die Betroffene dann durch ihre Rente oder die eigenen Ersparnisse schließen müssen. Aber wer dazu nicht in der Lage ist, für den springt die Sozialhilfe ein. Auch arme Menschen werden daher nicht animiert, für den Pflegefall vorzusorgen. Ganz zu schweigen davon, dass es die meisten wohl gar nicht könnten. Je nach Eintrittsalter summieren sich die eigenen Beiträge dafür schnell auf ein Vielfaches der staatlichen Zuschüsse von gerade einmal fünf Euro im Monat.

So subventioniert der "Pflege-Bahr" am Ende die Gutverdiener, die dann im Bedarfsfall weder Rente noch Vermögen antasten müssten. Das mag die Erben freuen, doch als Erbenschutzprogramm für betuchte Bevölkerungsgruppen verliert eine staatlich geförderte Pflegevorsorge ihren gesellschaftlichen Sinn. Die Millionen-Zuschüsse wären in der allgemeinen Pflegeversicherung jedenfalls besser angelegt. Nur würde auch das am Grundübel nichts ändern: Die aktuelle Pflegereform ist nur ein Provisorium. Um eine Wiedervorlage kommt die nächste Bundesregierung nicht herum.

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