Partei im Schatten

Vor 15 Jahren hat sich die Christlich-Demokratische Union Deutschlands neu erfunden. In der Essener Grugahalle wählte der CDU-Parteitag damals die 45-jährige Angela Merkel zur neuen Parteivorsitzenden und begründete damit eine Ära, die bis heute andauert.

In diesen eineinhalb Dekaden ist ganz und gar Erstaunliches passiert: Der ersten Frau im Vorsitzenden-Amt ist es gelungen, die Partei komplett umzukrempeln.

Am 11. April 2000 schrieb die SZ folgende Sätze: "Das neue Zugpferd heißt Angela Merkel, sie ist jung, unverbraucht, kess und knuffig." Der neue CDU-Star verfüge über "erstaunliche Fähigkeiten" und strahle "eine verblüffende Abgeklärtheit" aus. Diese Einschätzung gilt noch heute - genauso wie unsere damalige Warnung, Merkel dürfe die konservativen Kräfte, "das Rückgrat der Partei", nicht überfordern. Bei allem Respekt für ihre grandiose Leistung, den rheinisch-katholischen Männerklub CDU in eine gesamtdeutsch-sozialdemokratisierte Kanzlerpartei mit Frauenpower verwandelt zu haben: Merkel hat die konservativen Kräfte tatsächlich überfordert. Sie hat damit eine Beschädigung des Rückgrats ihrer Partei in Kauf genommen und ein Vakuum verursacht, in das die rechtsliberale AfD gestoßen ist. Dieser gravierende Punkt relativiert Merkels unbestreitbare Erfol - ge als Kanzlerin der Republik, die weltweit ein spektakuläres Renommee genießt.

Schwer zu sagen, an welcher Stelle die CDU eigentlich noch konservativ ist. Die Wehrpflicht ist abgeschafft. Die Atomkraft wird abgeschaltet und durch erneuerbare Energien ersetzt. Die Familien- und Gesellschaftspolitik wurde umgestülpt, selbst die Homo-Ehe ist nunmehr akzeptiert. Ob Mindestlohn oder Multikulti, Frauenquote oder Frührente: Die CDU unter Merkel macht (fast) alles mit und folgt einem zeitgeistigen Kompass, dessen Magnetfeld die Macht ist. Im Prinzip praktiziert "Kohls Mädchen" das System ihres Oggersheimer Prinzipals. Merkel, die im Gegensatz zu Helmut Kohl aber gänzlich uneitel ist, hat auch Willy Brandts Konzept des Wandels durch Annäherung kopiert. Mit dieser Behutsamkeit ist sie als Kanzlerin gut gefahren - als Parteivorsitzende aber nicht. Trotz positivem Bundestrend: In den Ländern ist die CDU abgeschmiert, in den Großstädten fristet sie ein Schattendasein. Es steht gar zu befürchten, dass die Partei nach dem Abgang der Vorsitzenden in sich zusammenfällt wie ein Soufflé nach einem Kälteschock.

Wenn Merkel ihren Nachruhm als CDU-Chefin geschichtsfest machen will, muss sie deshalb die programmatische Auszehrung der CDU stoppen. Und die Partei interessanter machen, indem sie neue Impulse gibt, die nicht nur bei SPD und Grünen geklaut sind. Sonst ist die Zukunft bald Vergangenheit.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort