Moskauer Bühnenzauber

Rußland · Russland bereitete dem Gast aus Athen gestern einen großen Bahnhof. Das ist ansonsten für Vertreter kleinerer Staaten ungewöhnlich. Kremlchef Wladimir Putin nahm sich gleich mehrere Stunden Zeit für den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras . Für seine Landsleute daheim und den Regierungschef selbst war die Aufmerksamkeit sicher Balsam auf die Seele.

Endlich standen die Griechen einmal nicht wie sonst kollektiv am Pranger. Es war Teil einer Therapie, die auch notwendig war.

Die Wähler in Griechenland hat Tsipras durch seinen Auftritt besänftigen können. Mit klaren Worten gegen die vermeintliche Kolonialisierung Athens und einem wortreichen Plädoyer für die außenpolitischen Rechte eines souveränen Staates gefiel er nicht nur der heimischen Klientel, auch Putin freute sich. Denn auch er bangt ja um Russlands bedrohte Souveränität. Tsipras Worte hätten auch die seinigen sein können. Wenn Griechenland und Russland sich in einer Sache ähnlich sind dann in der annähernden Gleichstellung von Wort und Tat.

Aber auch die EU hatte gestern allen Grund, erleichtert zu sein. Tsipras' Bekenntnis zu den europäischen Spielregeln fiel nicht leidenschaftlich aus, aber er stand dazu. Das gab sogleich ein Lob von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz . "Die Linie, die wir von ihm erwarten, hat er nicht verlassen", meinte er über Tsipras. Die Ausfallstraße für den "Grexit" nach Moskau wird der Grieche nicht einschlagen. Es war eine Menge Bühnenzauber, der in Moskau veranstaltet wurde. Auch wenn der Kreml heute einer Aufhebung oder teilweisen Aussetzung der Gegensanktionen im Lebensmittelbereich zustimmt, wird Athen damit nicht auf einen grünen Zweig kommen. Aber es könnte Spannungen im Innern abbauen.

Offen bleibt hingegen, ob Tsipras hinter verschlossenen Türen Putin doch mehr versprochen hat. Der verkündete "Neustart" in den bilateralen Beziehungen zwischen Russland und Griechenland läuft zwar dem europäischen Werteverständnis zuwider. Ihm haftet etwas mehr als das Stigma eines einmaligen Regelverstoßes an. Kriegsherren und Kriegstreiber müssen als solche auch gebrandmarkt werden. Deutungen sind da nicht zulässig. Nun können sich saturierte Staaten diese Moral erlauben, obwohl auch sie mit gierigen Wirtschaftslobbys darum feilschen müssen.

Wer glaubt, der Kreml hätte Interesse am Ausstieg Griechenlands aus der EU, täuscht sich. Im Gegenteil: Moskau wird Tsipras ermuntern zu bleiben und den Part des kritischen Geistes in der EU zu übernehmen. Dem Kreml ist langfristig an einem endgültigen Scheitern des europäischen Projektes gelegen, dafür ist es zurzeit noch zu früh.

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