Merkel pokert – und dreht an der Uhr

Berlin · 381 Seiten stark sind die Unterlagen, aber der wichtigste Antrag ist nicht dabei: das Papier zur Flüchtlingspolitik . Der CDU- Vorstand will darüber erst am Vorabend des Parteitags in Karlsruhe beschließen, der nächsten Montag beginnt.

Für Angela Merkel wird es einer der wichtigsten Kongresse in ihren 15 Jahren als Vorsitzende: Dort dürfte sich zeigen, wie die Christdemokraten und ihre Chefin harmonieren - und ob sie überhaupt noch richtig zusammenpassen. Dass diesmal keine Vorstandswahl ansteht, kommt der Kanzlerin zupass. Sie hätte einen Denkzettel befürchten müssen für ihren offenen Kurs in der Flüchtlingskrise, den viele CDU-Anhänger ablehnen.

Migration, Integration und Terrorbekämpfung - das sollen die drei Schwerpunkte in dem noch unter Verschluss gehaltenen Papier zur Flüchtlingspolitik sein. Das Ad-hoc-Antragsverfahren lässt den Delegierten nicht einmal 24 Stunden zum Lesen, Besprechen und Entscheiden. Zeit zum Streiten ist damit kaum, und das gehört zur Strategie der CDU-Spitze: Sie will trotz der Zerwürfnisse um Obergrenze oder Kontingente für Flüchtlinge, Öffnung oder Schließung von Grenzen, unbürokratische oder scharf kontrollierte Aufnahme der Menschen möglichst ein Signal der Geschlossenheit senden. Denn bereits in drei Monaten stehen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt Landtagswahlen an, eine wichtige Wegmarke vor der Bundestagswahl 2017.

Noch im Sommer hatte CDU-Generalsekretär Peter Tauber gedacht, dass in Karlsruhe seine Parteireform "Meine CDU 2017" im Zentrum stehen würde. Zoff war in erster Linie um den Antrag einer von drei sogenannten Zukunftskommissionen erwartet worden: CDU-Vize Armin Laschet und seine Gruppe "Zusammenhalt stärken - Zukunft der Bürgergesellschaft gestalten" plädieren darin für die Bündelung aller Einwanderungsregelungen in einem Gesetz. Das wäre dann das Einwanderungsgesetz, das Tauber vor fast einem Jahr vorgeschlagen hatte, um bitterböse Kritik aus seiner Partei zu ernten. Die Antragskommission empfiehlt nun in Karlsruhe die Annahme dieser Formulierung.

Auch das Bekenntnis, mit dem es sich Ex-Bundespräsident Christian Wulff (CDU ) bei manchen Parteifreunden verscherzt hatte, soll nicht verschwinden: Der Islam gehört zu Deutschland. Um diesen Satz sei allerdings in der Antragskommission am meisten gerungen worden, heißt es. Nun wird eine Klarstellung empfohlen: "Die bei uns lebenden Muslime sind heute ein Teil Deutschlands. Dazu gehört inzwischen auch ein Islam, der auf der Basis unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung gelebt wird." Laschets Antrag mutet nun, angesichts der scharfen internen Kritik an Merkel, fast harmlos an. Das Wort "Obergrenze" für eine feste Zahl von Flüchtlingen, wie sie CSU-Chef Horst Seehofer , die Junge Union und einzelne CDU-Politiker fordern, kommt im Vorstandsantrag dem Vernehmen nach nicht vor.

Wenn es Merkel gelingt, die eigenen Reihen dahinter zu versammeln, geht sie gestärkt aus dieser Krise hervor. Doch geschafft hat sie es damit noch lange nicht. Denn ohne Einigung in der EU auf Flüchtlingskontingente kann die Kanzlerin kaum die Ordnung in Deutschland wiederherstellen, die sie den Bürgern versprochen hat. Und Europa ist gerade dabei, in dieser Frage auseinanderzubrechen.

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