Kohls Masche: Altkanzler strickt an seiner Legende

Berlin · . Keine Frage, Helmut Kohl gilt bereits als lebende Legende, insofern sind auch seine Äußerungen stets interessant. Jetzt hat er ein neues Buch geschrieben, das heißt, er hat es schreiben lassen, denn nach seinem schweren Sturz im Jahr 2008 kann er sich nur noch mühsam artikulieren, geschweige denn einen Computer bedienen.

Was der Ex-Kanzler nicht verlernt hat, ist die Kunst, an seiner eigenen Legende zu stricken. Dazu dient auch das Buch "Aus Sorge um Europa", das er mit Hilfe einiger Medien in die Schlagzeilen gebracht hat.

Die Masche ist einfach: Da beim Geld die Freundschaft bekanntlich aufhört, lässt sich mit dem Thema Euro gut Kasse machen. Rund 14 Jahre nach der Aufnahme Griechenlands in den Euro geißelt Kohl die Entscheidung aus dem Jahr 2000 als grandiosen Fehler, im Vorabdruck der "Frankfurter Allgemeinen" hat dieser Passus die Überschrift "Ein Schandstück deutscher Politik". Noch besser liest sich Kohls harsche Kritik an der Entscheidung des "Westens", Russland wegen der Annexion der Krim und der Destabilisierung der Ukraine aus dem Kreis der G8-Staaten zu verbannen. Indirekt gibt sich der alte Konservative damit als Putin-Versteher zu erkennen, was deshalb pikant ist, weil die CDU traditionell Moskau-kritisch war und auch die Kohl-treue Bildzeitung nicht müde wird, Putins Vorgehen in der Ukraine massiv zu kritisieren.

Sein ganzes Leben hat Kohl der Politik gewidmet und dabei viel gelernt. Zum Beispiel die Betonung der eigenen Leistung und das Ignorieren unliebsamer Fakten. Zur ganzen Wahrheit hätte natürlich die Information gehört, dass nicht nur die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 für die Aufnahme Griechenlands votiert hat, sondern sämtliche Staaten der EU, die EU-Kommission und die EZB. Hätte gehört, dass sich Kohl im fraglichen Zeitraum weder im Bundestag noch sonst irgendwo mit kritischen Argumenten zu Wort gemeldet hat. Und dass er als Kanzler der Euro-Aufnahme Italiens, das noch höher als Griechenland verschuldet war, zugestimmt hat.

Auch Kohls Verständnis für Moskau muss irritieren, weil er nur den Ausschluss Russlands aus dem Kreis der G8 beklagt, ohne indes zu sagen, wie er denn (als Kanzler ) besser oder anders reagiert hätte. Daran krankt überhaupt die ganze Debatte über die wahrlich tiefgreifende Krise zwischen Russland und Europa. Die Kritiker lamentieren zwar, haben aber offenbar selbst kein Rezept, wie dem völkerrechtswidrigen Vorgehen Russlands in der Ukraine wirksam begegnet werden könnte. So nimmt es kein Wunder, dass der Chef-Außenpolitiker der CDU , Andreas Schockenhoff, Kohls Parteinahme scharf zurückweist: Nicht der Westen, sondern Russland habe die Rechts- und Friedensordnung gebrochen. Moskau habe sich "selbst isoliert".

Selbst nicht isoliert sieht sich Kohl, auch wenn er in seiner Partei zunehmend Kopfschütteln auslöst. Sein Rundumschlag gegen Angela Merkel, Christian Wulff , Friedrich Merz oder Norbert Blüm , die er mit derben Worten bedenkt (in: "Die Kohl-Protokolle" von Heribert Schwan und Tilman Jens ), hat ihm keine zusätzlichen Freunde eingetragen. Dass EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gestern bei der Vorstellung des Buches sein Vorbild als "europäischen Patrioten" würdigte, wird niemand infrage stellen. Ob es der Einheitskanzler aber nötig hat, mit fragwürdigen Thesen selbst an seiner Legende stricken zu müssen, schon eher.

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