Die Dürre, der Diktator und die Flucht

Berlin · Ist der Klimawandel die eigentliche Ursache für den Syrien-Krieg und den dadurch ausgelösten Flüchtlingsstrom nach Deutschland? Sind die dramatischen Ereignisse sogar nur Vorboten künftiger, noch größerer Migrationsströme, die durch Dürren und Unwetter ausgelöst werden?

Die Klimafolgen-Forschung beschäftigt sich derzeit intensiv mit dieser These. Zu eindeutigen Ergebnissen kommt sie allerdings noch nicht.

Fakt ist, dass es zwischen 2006 und 2010, also unmittelbar vor Beginn der Aufstände gegen Diktator Assad, in Syrien eine Trockenperiode gab, die von den Einheimischen sogar als "Jahrhundertdürre" bezeichnet wird. Sie machte bis zu 1,5 Millionen Syrer, vor allem Bauern , zu Binnenflüchtlingen. Am meisten betroffen war der Norden des Landes mit dem Oberlauf von Euphrat und Tigris, darunter auch die Region um Rakka, wo heute ganze Dörfer entvölkert sind. Dort regiert inzwischen der IS. Die meisten Menschen wanderten in die südlichen Regionen um Homs und Daraa - dort begannen Anfang 2011 die Demonstrationen .

Wissenschaftler der Universität von Kalifornien hatten vor einem Jahr als erste auf den Zusammenhang aufmerksam gemacht, allerdings selbst betont, dass es auch noch andere Faktoren gegeben habe. Flüchtlinge aus den Kriegen im benachbarten Irak etwa, die in Syriens Städte strömten, die verfehlte Landwirtschaftspolitik von Assad, das enorme syrische Bevölkerungswachstum. Und natürlich die "Ara bellion", das Vorbild der Aufstände in den anderen arabischen Ländern. Dennoch meinten die US-Forscher, die Dürre-Vertriebenen hätten "den Zündfunken gebildet, der zum offenen Krieg führte" .

Die Hamburger Konfliktforscherin Christiane Fröhlich, die gestern in Berlin ihre Studie vorstellte, nimmt einen anderen Standpunkt ein. Sie hatte in jordanischen Flüchtlingslagern ausführliche Interviews mit ehemaligen syrischen Bauern und ihren Familien geführt. Ergebnis: Die Landwirte, die wegen der Dürre in den Süden gingen, verhielten sich weitgehend unpolitisch und nahmen nicht an Demonstrationen teil. Eher war es der Unmut der sesshaften Bevölkerung über das Nichtstun der Assad-Regierung angesichts der Probleme im Norden, der die Proteste auslöste. Aber auch der Ärger über wirtschaftsliberale Reformen des Regimes, in deren Folge die Arbeitslosigkeit über 30 Prozent stieg.

Aus Fröhlichs Sicht lehrt das Beispiel Syrien nicht, dass der Klimawandel mit den erwarteten bis zu 200 Millionen Entwurzelten weltweit Aufstände in den Zufluchtsregionen verursachen muss. Vielmehr zeige der Fall, dass sämtliche sozialen, politischen und ökonomischen Bedingungen in den von Dürre betroffenen Ländern viel stärker in den Fokus rücken müssen, um die Lage bewältigen zu können. "Es geht nicht nur um Wasser-Management", mahnt Fröhlich. "Man muss die Gesellschaften widerstandsfähiger machen."

Das bedeutet neue, große Herausforderungen für Europas Politik. Denn der südliche Mittelmeer-Raum, die Sahel-Zone und das westliche Afrika gehören zu jenen Gebieten der Erde, die wegen des Klimawandels künftig häufiger als bisher von Dürren betroffen sein werden. Das prognostizierte gestern der Deutsche Wetterdienst. Alle diese Regionen liegen in Reichweite Europas und verfügen schon jetzt über ausgeprägte Flüchtlingsrouten und Schleuser-Strukturen.

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